"Kein Platz für Türken" Türkische Medien kritisieren Platzvergabe bei NSU-Prozess

ISTANBUL · Mit seinen Entscheidungen über die Platzvergabe beim NSU-Prozess im April sorgt das Münchner Oberlandesgericht auch in der Türkei für zunehmenden Ärger und für Zweifel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz.

Am Bosporus wird der Verdacht laut, das Gericht wolle türkische Beobachter vom Verfahren fernhalten, um die wahren Dimensionen der rechtsextremen Verbrechen zu vertuschen. Oral Calislar, Chefredakteur der angesehenen und unabhängigen Tageszeitung "Taraf" in Istanbul, forderte am Mittwoch eine Rücknahme der Beschlüsse, die zum Ausschluss türkischer Medien vom ersten Verhandlungstag führten.

In dem Verfahren gehe es schließlich auch um den Verdacht einer Verwicklung deutscher Sicherheitsbehörden in die NSU-Morde, betonte Calislar gegenüber unserer Zeitung - da sei die Beobachtung des Prozesses durch türkische Journalisten um so wichtiger.

Die Opposition in Ankara forderte, die Regierung solle sich in den Streit einschalten. Die Zeitung "Milliyet" berichtete von einem "Embargo" gegen türkische Medien. Bei der "Hürriyet" hieß es , sogar Paparazzi dürften dem Münchner Verfahren folgen, nur die Türken nicht. "Kein Platz für Türken im Prozess wegen ermorderter Türken", titelte das Blatt schon nach dem kürzlichen Nein des Oberlandesgerichts zu einer Platzreservierung für den türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu im Gerichtssaal.

Karslioglu kündigte an, auch ohne Reservierung am ersten Verhandlungstag teilnehmen zu wollen. Möglicherweise werde sich der türkische Botschafter einen Platz im Zuschauerraum suchen und neben rechtsextremen NSU-Fans sitzen müssen, sagte Faruk Sen, der frühere Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien. "Das wird Auswirkungen auf das Deutschlandbild in der Türkei haben", sagte Sen dem General-Anzeiger in Istanbul.

Auch das Nein zur Anwesenheit des türkischen Botschafters sei unverständlich. Acht NSU-Opfer seien türkische Staatsbürger ohne doppelte Staatsangehörigkeit gewesen, weshalb der türkische Staat in der Pflicht sei, sich um den Prozess zu kümmern. "Das ist keine rein deutsche Angelegenheit", sagte Sen.

Bei der Bundesregierung in Berlin denkt man ähnlich. "In voller Anerkennung der Unabhängigkeit der Justiz wäre es gut", wenn auch Vertreter der türkischen Medien "angemessen berichten können", erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes unserer Zeitung. Das sehen deutsche Medien offensichtlich genauso.

So will nun auch die ARD auf einen der ihr zugewiesenen Plätze im Gerichtssaal verzichten und dem türkischen Rundfunk TRT überlassen, wie NDR-Hörfunk-Chefredakteurin Claudia Spiewak und ARD-Chefredakteur Fernsehen Thomas Baumann gestern in Hamburg erklärten. Am Dienstag hatte bereits die "Bild"-Zeitung angekündigt, sie werde ihre Platzreservierung an die türkische Zeitung "Hürriyet" abtreten.

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