Mechanikerin der Macht So will von der Leyen EU-Chefin werden

Berlin · Ursula von der Leyen war lange eine Ministerin, die Pannen gekonnt umschiffte. Berateraffäre und Ausrüstungsmängel trübten ihr Image. Ein Wechsel nach Brüssel käme ihr gerade recht.

Ursula von der Leyen steht in einem Nebenzimmer des Hotels „Bayerischer Hof“ in München. Machtpose. Die Arme über dem dunkelblauen Blazer verschränkt, alle notwendigen Akten, sofern der Inhalt nicht im Kopf der Ministerin, könnte blitzschnell der Adjutant reichen. Ihre engsten Mitarbeiter stehen links und rechts hinter der Verteidigungsministerin aufgefächert – wie eine Flugformation. Der Leiter des Planungsstabes, der Leiter der Politischen Abteilung, der Leiter der Abteilung Strategie und Einsatz und der Leiter des Pressestabes. Ein Blick der Ministerin in Richtung eines der Zuträger genügt – und sofort würde ihr ein Papier mit Zahlen gereicht oder ein fehlendes Detail zugeflüstert.

Europa ist gerade für von der Leyen derzeit ein großes Thema mit vielen Details. Wie hatte sie in München noch gesagt? Erstens: „Wir Europäer müssen mehr in die Waagschale legen.“ Zweitens: „Wir sind aber auch realistisch. Wir wissen, dass wir noch mehr tun müssen. Gerade wir Deutschen.“ Unlängst hat sie beim Besuch des Nato-Kampfverbandes im litauischen Rukla den Balten versprochen: „Litauen wird nie wieder alleine stehen.“ So wie es schon bei vorangegangenen Besuchen an der Nato-Ostflanke getan hat.

Auch von der Leyen möchte in diesen Tagen nicht alleine stehen. Erst recht nicht in Brüssel. Sie hofft auf Unterstützung aus vielen EU-Staaten. Auch aus Litauen.

Die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (kurz: IBuK) in Friedenszeiten, erste Frau auf diesem Posten, ist auf dem ganz großen Sprung. Sie ist seit wenigen Tagen Kandidatin für das Amt der EU-Kommissionspräsidentin, aus dem Hut gezaubert von der Staats- und Regierungschefs. Auch dies ein Beweis: Karrieren in der Politik sind nicht planbar. Plötzlich ist die Chance da, weil woanders bestimmte Interessen nicht zusammengehen wollten. Jetzt will sie es auch packen. Von der Leyen zwischen Europa und den USA, zwischen Brüssel und Washington D.C., zwischen alter und neuer Welt, zwischen Englisch im Pentagon und Französisch beim Besuch deutscher Soldaten im Auslandseinsatz im afrikanischen Mali. Beide Sprachen spricht sie fließend. Nicht schlecht, wenn man als Nato-Generalsekretärin auserwählt würde – oder als EU-Kommissionspräsidentin.

Seit mittlerweile fünfeinhalb Jahren ist von der Leyen in jenem Amt, das mit Ausnahme von Peter Struck kaum ein Vorgänger ohne größere Blessuren verlassen hat. Und in das sie im Dezember 2013 mit einigem Kalkül von Bundeskanzlerin Angela Merkel befördert worden war. Im Verteidigungsministerium würde eine mögliche Konkurrentin von der Leyen genug zu tun haben.

Die CDU-Politikerin trat mit dem Versprechen an, die Bundeswehr zu einem der modernsten Arbeitgeber der Republik zu machen – und mit dem Anspruch, das über Jahrzehnte gepflegte Dickicht von Rüstungslobby, der Koblenzer Beschaffungsamt der Bundeswehr und dem Beamtenapparat im eigenen Haus bei Großprojekten endlich zu lichten. Von der Leyen holte dazu eigens die ehemalige McKinsey-Managerin Katrin Suder als Staatssekretärin zur besseren Steuerung großer Rüstungsprojekte ins Haus. Inzwischen hat Suder das Ministerium verlassen. Und von der Leyen hat wegen Millionen-Aufträgen für externe Berater ohne regelkonforme Ausschreibung eine ausgewachsene Berateraffäre am Hacken, die nun auch von einem Untersuchungsausschuss des Bundestages durchleuchtet wird. Von der Leyen, die lange eine weiße Weste hatte, ist längst zur Ministerin der Selbstverteidigung geworden.

Das Desaster um die horrende Kostenexplosion bei der Sanierung des Segelschulschiffes „Gorch Fock“ spülte ihr weiter Wasser in den eigenen Maschinenraum. Von der Leyen musste eine ganze Kette von Fehlern einräumen. Eine Ministerin kann nicht jedes Detail wissen, aber Unwissenheit ist in einem Amt dieser Fallhöhe kein Schutzschild.

In der Truppe ist ihr Ansehen ramponiert, seit sie nach rechtsextremistischen Umtrieben der gesamten Bundeswehr ein Haltungsproblem attestierte, was sie nach heftiger Kritik später relativierte. Immerhin durfte sie ihren Doktortitel nach Plagiatsvorwürfen trotz „klarer Mängel“ behalten.

Brüssel, Berlin, Bonn. Stationen einer Ministerin. Wobei von der Leyen am weiter ersten Dienstsitz ihres Ministeriums auf der Hardthöhe zumindest insoweit auffiel, dass sie die offensiven Umzugspläne ihres Vorgängers Thomas de Maizière nicht genauso offensiv weiter verfolgte. De Maizière hatte immer wieder betont, er wolle so viele Dienstposten wie möglich in Berlin konzentrieren.

Von der Leyen konzentriert sich nun auf Brüssel und will dazu in nur zwei Wochen ihre Vision für ein Europa der Zukunft vorlegen. Für die 60-Jährige kommt die Kandidatur für das Amt der EU-Kommissionschefin wie gerufen. Das Amt der Verteidigungsministerin ist ihr zur Bürde geworden. Sie agiert glücklos, bleibt wegen diverser Flugpannen in den Dauerschlagzeilen. Ein Wechsel nach Brüssel wäre für sie Beförderung und Befreiungsschlag zugleich.

Von der Leyen ist eine Meisterin der Außenwirkung und gut darin, bei Problemen, die für sie politisch gefährlich werden könnten, sehr schnell eine Distanz zwischen sich und dem Problem aufzubauen. Lange ging das auf dem Schleudersitz der Verteidigungsministerin gut. Doch in diesen Tagen ihrer Bewerbung für das europäische Spitzenamt in Brüssel muss die ehrgeizige Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht umsteuern: Sie muss möglichst schnell eine Nähe zwischen sich und dem EU-Parlament und deren selbstbewussten Abgeordneten herstellen.

Charmeoffensive kann von der Leyen. Das Lächeln für die Galerie beherrscht sie, ebenso den Auftritt auf dem roten Teppich und dem diplomatischen Parkett. Doch sie kann genauso hart wie kalt sein. In ihrer eigenen Partei, der CDU, ist von der Leyen geschätzt, aber nicht beliebt. Vieles an ihr wirkt wie auswendig gelernt. Zu wenig Herz, zu viel Kalkül, zu sehr auf die eigene Wirkung aus. Eine Partei muss man anderes führen als einen Apparat der EU-Kommission mit seinen rund 32.000 Bediensteten. Eine Partei braucht Wärme, ein Apparat funktioniert auch nach Befehl.

Von der Leyen ist wie Merkel eine Mechanikerin der Macht. Jetzt sucht sie das bestmögliche Antriebsaggregat für Brüssel.

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