AfD-Parteitag So gewinnt der Höcke-Flügel an Macht

Krimi bei den Wahlen zum AfD-Parteivorsitz: Der moderate Berliner Kandidat Georg Pazderski scheitert am immer stärkeren Höcke-Flügel. Alexander Gauland steht nun an der Seite von Jörg Meuthen.

 Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender in Thüringen.

Björn Höcke, AfD-Fraktionsvorsitzender in Thüringen.

Foto: dpa

Es ist 12.31, der AfD-Parteitag läuft seit hundert Minuten, da bekommt der Delegierte Björn Höcke aus Thüringen erstmals das Wort. Höcke, der dem Kölner Parteitag im April noch ferngeblieben war, um seine Partei nicht zu beschädigen, geht jetzt zum Saalmikrofon, hält kurz inne, ruft: „Hallo Hannover!“ – und wartet auf den Applaus, der prompt auf ihn niederrieselt. Es ist Höckes Comeback, das er von Anfang an inszenieren möchte.

Planungen für austarierte Parteispitze ausgehebelt

Höcke kommt zu seinem Anliegen, er will ein „schweres Versäumnis des Bundesvorstands“ ausbessern und die „Selbstverständlichkeit“ durchsetzen, dass der niedersächsische AfD-Chef Paul Hampel ein Grußwort sprechen darf. Vorstand und Parteitagsregie haben das nicht vorgesehen. Und auch die Delegierten lehnen es mehrheitlich ab. Höcke verlangt eine elektronische Abstimmung – und bekommt es dann Schwarz auf Weiß: 281 Nein- gegen 191 Ja-Stimmen. 60:40 also, ein Lackmustest. Bisher hieß es stets, „der Flügel“, wie die Strömung um Höcke genannt wird, habe höchstens ein Drittel Unterstützter in der Partei. Es sind inzwischen also deutlich mehr.

Und sie werden an diesem Tag noch für eine faustdicke Überraschung sorgen. Denn der Flügel wirft die Planungen für eine austarierte Parteispitze über den Haufen. Zwar scheitert der Versuch, den seit Frauke Petrys Parteiaustritt allein der AfD vorsitzenden Jörg Meuthen auch weiter zum alleinigen Chef zu küren. Doch so wie Meuthen mit 72 Prozent relativ unproblematisch wiedergewählt wird, gilt der relativ moderate Berliner Partei- und Fraktionschef Georg Pazderski als gesetzt für den Posten neben ihm. Pazderski will die AfD schärfer nach rechts abgrenzen und war auch im Petry-Lager jener, die Höcke aus der Partei ausschließen wollten. Doch bei der Vorstellungsrede konzentriert er sich darauf, die AfD als Gestaltungskraft fit machen zu wollen. Erst „mittel- und langfristig“ solle sie Koalitionen eingehen, und zwar erst einmal im Osten, wo sie jetzt schon auf Augenhöhe mit anderen Parteien sei.

Mit Meuthen habe sich Pazderski bereits einvernehmlich auf die Geschäftsverteilung geeinigt, heißt es gerüchteweise im Saal. Doch Pazderski hat die Rechnung ohne den „Flügel“ gemacht. Vor allem ohne Doris von Sayn-Wittgenstein. Die knallharte Rechtsauslegerin aus Schleswig-Holstein gibt den Flügel-Delegierten Zucker: „Ich wünsche nicht, dass ich Koalitionsgespräche anbieten muss, sondern dass die anderen um Koalitionsgespräche betteln.“ Das reißt viele von den Stühlen, setzt „Doris-Doris-Doris“-Rufe und einen kleinen Wahlkrimi für den Samstagabend in Gang. Um 18.18 Uhr das Ergebnis: 273 Stimmen für Pazderski, 285 für Sayn-Wittgenstein. Nur eine einzige Stimme mehr, und die Überraschungsfrau hätte das Rennen nach der Wahlordnung der AfD gemacht. Der zweite Wahlgang folgt sofort. Nun liegt Pazderski mit 284 Stimmen vorne, bekommt Sayn-Wittgenstein 275, aber auch das ergibt keinen Sieger.

Ein Fall für Fraktionschef Alexander Gauland. Der hatte eigentlich wieder „nur“ für einen Stellvertreterposten kandidieren wollen, sieht aber nun nur einen, der die gespaltene Partei wenigstens an diesem Punkt wieder zusammenbringen kann: Sich selbst. Ausgerechnet bei Merkels „Sie-kennen-mich“-Rhetorik bedient er sich bei seiner Vorstellungsrede: „Ihr kennt mich“, sagt er. Und verweist darauf, dass es ihm stets das wichtigste Anliegen gewesen sei, die Partei zusammenzuhalten. 67,78 Prozent wählen Gauland an die Seite Meuthens. 26,94 Prozent sagen Nein zu ihm. „Schlappe“ würden Analysen bei anderen Parteien ein solches Ergebnis nennen. Bei der AfD fällt es kaum auf. Aber dass der Höcke-Flügel nun 49,4 Prozent eines Parteitages mobilisieren kann, das fährt den vergleichsweise Gemäßigten in Hannover doch gehörig in die Glieder.

Pazderski bekommt dann beim ersten Vize-Posten das Ticket für die Spitze. Gleich darauf setzt sich auch Kay Gottschalk aus NRW durch. Er ist am Morgen von gewalttätigen Demonstranten vor der Tagungshalle attackiert worden. Seine Bewerbungsrede absolviert er mit auffälliger Verletzungssymbolik. Der Arm steckt in einer weißen Schlinge. Knochenbruchverdacht. Er verlangt lautstark ein Treffen mit Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und einen Untersuchungsausschuss über diesen „skandalösen“ Vorgang. Dann sind die Täter dran: Die hätten so stumpfe und leere Gesichter gehabt, „die hätten auch ein KZ führen können.“ Das Manöver gelingt: Mit 53,96 Prozent wird er AfD-Vizevorsitzender.

Scharfe Positionierungen bringen auch Albrecht Glaser als stellvertretenden Chef an die Parteispitze. Der wegen seiner Islam-Äußerungen bislang von den anderen Fraktionen nicht akzeptierte AfD-Kandidat für einen Posten als Bundestagsvizepräsident, setzt noch mal einen drauf: „So wenig es Nussschokolade ohne Nüsse gibt, so wenig gibt es den Islam ohne Scharia.“ Das Ergebnis sind 57,98 Prozent Zustimmung im Zweikampf mit Sachsen-Anhalts AfD-Chef André Poggenburg. „Der Islam gehört ebenso wenig nach Deutschland wie Angela Merkel ins Kanzleramt“, sagt Beatrix von Storch, bezeichnet die Kanzlerin als „größte Rechtsbrecherin der Nachkriegsgeschichte“ – und rückt so als Beisitzerin in den Vorstand. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel muss sich Sticheleien von Höcke gefallen lassen. Sie bleibt ruhig – und holt mit 69,12 Prozent ein besseres Ergebnis bei den Beisitzerwahlen als Gauland bei den Vorsitzenden-Wahlen.

Gauland will Zeichen der Abgrenzung setzen

Der will am Sonntag ein Zeichen der Abgrenzung setzen. Als der Hamburger AfD-Politiker Björn Neumann auf Nachfrage bekennt, vier Monate in der NPD gewesen zu sein, schaltet sich Gauland ein, als hätte er sich verhört. Ob er wirklich in der NPD gewesen sei, fragt er. Nachdem Neumann das bejaht, stellt Gauland fest: „Dann ist der Fall für mich erledigt.“ Neumann solle seine Kandidatur zurückzuziehen. Das tut er nicht. Fünf Stimmen bekommt Neumann. Es bleibt die Frage, wie er trotz des offiziellen Unvereinbarkeitsbeschlusses zwischen NPD und AfD ein Parteiausschlussverfahren überstehen konnte. Das wird auf Bundesebene mittelfristig wohl kein neues Schiedsgericht klären, das eigentlich auf dem Parteitag hätte gewählt werden sollen. Es ist kurz vor sechs, als die Delegierten beschließen, den Parteitag zu beenden – ohne das Schiedsgericht neu zu besetzen. Nur die Nationalhymne wird noch gesungen.

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