Affäre um den Bundesnachrichtendienst Skandal oder Sturm im Wasserglas?

BERLIN · Mindestlohn? Erbschaftssteuer? Nein, das heißeste politische Thema in Berlin ist der brodelnde BND-Skandal. Ist es tatsächlich ein Skandal oder nur ein Sturm im Wasserglas?

 Das Ohr des Dienstes: Eine Satellitenschüssel in Bad Aibling (Bayern) in der BND-Außenstelle.

Das Ohr des Dienstes: Eine Satellitenschüssel in Bad Aibling (Bayern) in der BND-Außenstelle.

Foto: dpa

Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Welche Vorwürfe stehen im Raum?

Der international operierende US-Geheimdienst NSA wollte mit Hilfe des BND auf Ziele in Europa zugreifen - darunter auch Unternehmen wie EADS und Eurocopter. Offenbar standen auch französische Behörden, eventuell auch Politiker im Fokus amerikanischen Interesses. Die NSA lieferte dem deutschen Nachrichtendienst sogenannte "Selektoren" wie Handy-Nummern oder Internetprotokoll (IP)-Adressen. Die sollte der BND dann bei seinen Überwachungsaktionen berücksichtigen. So viel ist unbestritten. Im Jahr 2008 hatte der Bundesnachrichtendienst das Kanzleramt selbst auf die Neugier des US-Dienstes aufmerksam gemacht. Nur ist offenbar nichts geschehen, denn 2010 soll es einen weiteren Hinweis ans Kanzleramt gegeben haben. Welche Konsequenzen diese Hinweise hatten, ist noch aufzuklären. Die Frage steht im Raum, ob das Kanzleramt die Praxis stillschweigend geduldet hat oder wirklich annahm, der BND widersetze sich den Wünschen der Partner.

Welches Potenzial haben diese Vorwürfe?

Vorsicht Sprengstoff! Wenn es sich tatsächlich bewahrheiten sollte, dass ein deutscher Dienst, gar mit Wissen der Regierung, amerikanische Wirtschaftsspionage gegen befreundete Staaten, vielleicht auch gegen deutsche Unternehmen, aktiv unterstützte, dann wäre das tatsächlich ein Skandal. Und der könnte Kreise ziehen: Schon jetzt ist klar, dass es eine völlig neue Verständigung über die Rolle der deutschen Nachrichtendienste, ihre Aufgaben, ihre gesetzlichen Vorgaben und ihre Kontrolle geben muss. Darüber hinaus muss aufgeklärt werden, welche Rolle das Kanzleramt gespielt hat - wurde es mit oberflächlichen Informationen ruhiggestellt, hat es alles geduldet - oder gar aktiv gebilligt? Und dann: Im Kanzleramt sitzt die Kanzlerin. Könnte ihr ein Mitwissen nachgewiesen werden, wird auch sie beschädigt.

Wer ist gefährdet?

Natürlich ist der unmittelbar Verantwortliche der BND-Chef - der 62-jährige Gerhard Schindler. Für ihn wird es mit Sicherheit eng. Chef des Kanzleramtes war im Jahre 2008, als offenbar die erste offizielle Information des BND erfolgte, der heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Er genießt zwar auch beim Koalitionspartner SPD hohen Respekt. Aber politisch ist er ohnehin geschwächt, denn seine Zeit als Verteidigungsminister war nicht glücklich verlaufen. Auch die aktuellen Debatten um die Mängeln am Sturmgewehr G36 der Bundeswehr werden ihm von einigen Seiten politisch angelastet. Und die Kanzlerin? Ist sicher nicht im Amt gefährdet. Aber wenn sich hier tatsächlich eine handfeste Affäre zusammenbraut, kann auch ihr Ruf schaden nehmen. Sie hatte schon nach den Snowden-Enthüllungen um die NSA und das Ausspähen ihres Handys durch die Amerikaner zurückhaltend agiert und den Großkonflikt mit den USA vermieden. Nichts spricht dafür, dass sie diesmal vorhätte, massiver gegenüber Washington aufzutreten. Politisch vielleicht verständlich - aber in der deutschen Öffentlichkeit dürfte das kaum gut ankommen.

Was sagen die Parteien?

Der Union kommt zugute, dass ihr traditionell größter Konkurrent, die SPD, gleichzeitig Koalitionspartner ist. Die Sozialdemokraten vermeiden noch eine persönliche Zuspitzung in Richtung de Maizière oder Kanzlerin Merkel. Aber sie sind durchaus gewillt, politisch Kapital aus der Sache zu schlagen. Vize-Kanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: "Das, was hier passiert ist, ist schon skandalös." Das Eigenleben des BND müsse beendet werden. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi geht weiter und merkt an, dass die jüngsten Enthüllungen nahelegten, dass das Kanzleramt bei der Aufsicht des BND "kläglich versagt" habe. Was sie gar nicht erst dazusagen muss: Wer kläglich versagt, muss zurücktreten. Die Opposition spricht von einer "Lüge".

Was heißt das für das Verhältnis zur USA?

Es bleibt bei einer für Deutschland nicht sehr ermutigenden Erkenntnis: Da wir bei der Terrorabwehr auf die Informationen der US-Dienste dringend angewiesen sind, ist Deutschland erpressbar. Also wird Berlin auch diesmal vermeiden (müssen), den Konflikt eskalieren zu lassen.

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