Umstrittene Entscheidung Sigmar Gabriel wechselt in die Wirtschaft

Eine Existenz als Hinterbänkler im Bundestag ist Sigmar Gabriel (SPD) offenbar zu wenig. Jetzt wechselt der ehemalige Wirtschaftsminister auf die Seite des Kapitals.

 Sigmar Gabriel (SPD) wechselt in die Wirtschaft.

Sigmar Gabriel (SPD) wechselt in die Wirtschaft.

Foto: dpa

Zweite oder dritte Reihe der Abgeordnetenbänke im Bundestag. Das ist – jedenfalls auf Dauer – nichts für Sigmar Gabriel. Gegen solchen Phantomschmerz hilft auch kein Lehrauftrag an der Uni Bonn. Keine Frage: Gabriel mag den politischen Diskurs auch im Plenum.

Dem politischen Streit – auch dem Kampf – ist er nie aus dem Weg gegangen in seiner langen politischen Karriere. Als SPD-Chef hat Gabriel in siebeneinhalb Jahren an der Spitze der Partei ordentlich ausgeteilt – gegen den politischen Gegner, aber auch nach innen. Gabriel hat sich durch seine manchmal sehr robuste Führung im Willy-Brandt-Haus zahlreiche Gegner gemacht, was sich für den 58-Jährigen noch rächen sollte.

Spätestens Mitte Februar in den Tagen der Münchner Sicherheitskonferenz konnte der damalige Außenminister ahnen, dass es für ihn schwierig werden könnte, sich auf dem Posten des deutschen Chefdiplomaten zu halten. In München hatte er über die bald 14 Amtsjahre seines russischen Kollegen Sergej Lawrow gewitzelt: „Sergej, ich bin nicht sicher, ob ich 14 Monate schaffe.“ Zu sehr hatte er via Interview gegen das versuchte Postengemauschel zwischen dem damaligen SPD-Chef Martin Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles Stimmung gemacht und die SPD-Spitze gegen sich aufgebracht. Gabriel fühlte sich von der SPD-Führung eiskalt abserviert.

Wenn der ehemalige Vizekanzler und Außenminister nur gut zwei Monate nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung einen prominenten Posten in der Wirtschaft übernimmt, ruft er damit natürlich auch Kritiker auf den Plan.

Gabriel, selbst ehemaliger Bundeswirtschaftsminister, soll als Mitglied im Verwaltungsrat den deutsch-französischen Technologiekonzern Siemens Alstom kontrollieren. Wohl auch verbunden mit der Hoffnung, Gabriel könnte mit seinen privilegierten Kontakten in der Welt für den Konzern manche Tür öffnen, die sonst versperrt bliebe.

Einen Beigeschmack hat Gabriels neues Engagement allerdings: 2014 hatte er sich als Bundeswirtschaftsminister für die Fusion von Siemens und Alstom eingesetzt. Jetzt soll er auf die Seite des deutsch-französischen Bahnbauers wechseln und beteuert dazu, er wolle sich „selbstverständlich“ an die neu geschaffenen Vorgaben für ehemalige Regierungsmitglieder bei deren Wechsel in die Wirtschaft halten.

Kein Vertun: Gabriels Fallhöhe ist höher als die der meisten 709 Bundestagsabgeordneten. Er wurde 1999 in seinem Heimatland Niedersachsen mit gerade 40 Jahren der damals jüngste Ministerpräsident der Republik. Und verlor 2003 die folgende Landtagswahl gegen CDU-Herausforderer Christian Wulff, der später zum Bundespräsidenten aufstieg. Wulff wie Gabriel kennen – wenngleich in völlig unterschiedlichen Konstellationen – das Gefühl des Karriereabsturzes.

Gabriel galt lange als größtes politisches Talent der SPD. Franz Müntefering holte ihn 2005 nach einer Auszeit in die erste Reihe der Bundespolitik zurück und machte ihn zum Bundesumweltminister. 2009, nach der dramatisch verlorenen Bundestagswahl, wurde er als neuer SPD-Chef zum Trümmermann seiner Partei: Operation Wiederaufbau.

Gabriel blieb dort mehr als sieben Jahre, verpasste es aber in dieser Zeit, selbst nach der Kanzlerkandidatur zu greifen. Vielleicht hat er sie auch nie wirklich gewollt. In einem Interview mit dem „Stern“ sagte er Anfang 2017 zu seinem auch für viele in der SPD völlig überraschend verkündeten Verzicht auf Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur. Für eine erfolgreiche Kanzlerkandidatur brauche es zwei Voraussetzungen: „Die Partei muss an den Kandidaten glauben und sich hinter ihm versammeln. Und der Kandidat selbst muss es mit jeder Faser seines Herzens wollen. Er muss es sozusagen als seine Lebensaufgabe ansehen, Kanzler zu werden. Beides trifft auf mich nicht in ausreichendem Maße zu.“

Gabriel übernahm die Spitze des Außenamtes, auch, weil er mehr Zeit für die Familie haben wollte. Für einen Weltreisenden eine ungewöhnliche Begründung. Jetzt wechselt der Sozialdemokrat auf die Seite des Kapitals. Er soll es ja nur kontrollieren. Das zumindest werden sie in der SPD verstehen.

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