Der Ex-Parteichef und die SPD Sigmar Gabriel sucht nach der Rückfahrkarte nach Berlin

BERLIN · SPD Ex-Parteichef Sigmar Gabriel will wieder in der ersten Reihe der Partei mitmischen. Doch wie, wenn seine Nachfolgerin Andrea Nahles ihn nicht lässt? Beide verbindet tiefes Misstrauen.

 „Polder hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten“: Sigmar Gabriel, Ex-SPD-Chef.

„Polder hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten“: Sigmar Gabriel, Ex-SPD-Chef.

Foto: picture alliance/dpa

14 Jahre? Oder doch nur 14 Monate? Neben Sigmar Gabriel sitzt sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow, ein Haudegen in der Welt der Außenpolitik. Seit 2004 zieht Lawrow diplomatisch Strippen für Russland. Gabriel ist an diesem Februar-Tag 2018 nur noch geschäftsführend Außenminister. Eine neue Regierung ist noch nicht gefunden. Gerade hat er vor dem Hotel der Münchner Sicherheitskonferenz verkündet, dass der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nun endlich freikommt. In Anspielung auf die Debatte, wer künftig Außenminister in Deutschland wird, sagt Gabriel zu Lawrows langer Amtszeit. „Er ist 13 Jahre, bald 14 Jahre im Amt. Ich bin nicht sicher, dass ich 14 Monate schaffe.“ Gabriel schaffte 15 Monate. Dann war seine Zeit in der ersten Reihe der Politik vorbei.

Gabriel war raus aus dem großen Spiel – letztlich gescheitert auch an sich selbst. Dabei galt er lange als größtes Talent der SPD: 1999 in Niedersachsen mit gerade 40 Jahren jüngster Ministerpräsident, später acht Jahre Bundesminister, davon vier Jahre Vize-Kanzler, noch dazu sieben Jahre Parteichef, was in der SPD etwas heißen will. Der Lebenslauf eines politischen Schwergewichtes.

Mit seiner impulsiven Art hatte sich der einstige Vorsitzende auch im Willy-Brandt-Haus einige Feinde gemacht. Erst verkündete er seinen Verzicht auf eine eigene Kanzlerkandidatur – vor allem nach dieser Art und Weise sehr zum Verdruss der eigenen Genossen. Im Februar vergangenen Jahres dann wollten ihm auch führende SPD-Genossen nicht verzeihen, dass er seine Tochter Marie in den Machtkampf gegen seinen Nachfolger als Parteichef, Martin Schulz, eingespannt hatte.

Mit Martin Schulz ausgesprochen

Gabriel damals zur „Funke-Mediengruppe“: „Meine kleine Tochter Marie hat mir heute früh gesagt: Du musst nicht traurig sein, Papa, jetzt hast Du doch mehr Zeit mit uns. Das ist doch besser als mit dem Mann mit den Haaren im Gesicht.“ Gabriel hat sich mit Schulz, beide Verlierer der Regierungsbildung vom März vergangenen Jahres, inzwischen ausgesprochen.

Dass sich Gabriel mit seiner aktuellen Rolle eines stellvertretenden Mitgliedes im Europaausschuss des Bundestages oder einer Lehrtätigkeit an der Uni Bonn zufrieden geben würde, konnte sich kaum jemand vorstellen. Erst Konzentration auf die Familie, mit der er in Goslar wohnt. Aber jetzt möglichst: Berlin-Goslar mit Rückfahrkarte. Der einstige Lehrer für Englisch in der Erwachsenenbildung sucht nach einem größeren Spielfeld. Unlängst erst saßen Gabriel und Schulz bei der Klausur der SPD-Landesgruppen aus Niedersachsen und NRW wieder miteinander im Saal.

Markige Worte zum Umfragentief

Gabriel ergriff ein ums andere Mal das Wort. Warum sich so viele Menschen von der SPD abwendeten? Er wusste Antwort: „Dass der, der dreißig Jahre gearbeitet hat, am Ende genauso viel kriegt, wie der Balalaika-Spieler in der Fußgängerzone, das finden die scheiße.“ Bei der Frage nach einem schnellen Kohle-Ausstieg geriet der frühere Umweltminister mit dem Parteilinken Matthias Miersch aneinander. Es sei schlicht falsch zu glauben, „ob man im Jahr 2035 oder im 2037-einhalb aus der Braunkohle in Deutschland aussteigt, hätte irgendeinen Einfluss auf die Klimaschutz-Politik“.

Gabriel nimmt in diesen Wochen gern Einladungen zu Neujahrsempfängen an. Hier kann er glänzen, auf den Putz hauen, sich lustig machen. Auch wieder über die eigene Parteispitze. Seine Zuhörer juchzen und jubeln. Wie neulich in Hamburg. Gabriel lobte eine „Hamburger Meditationsmethode“. Wenn es zu unübersichtlich werde, gehe man zu den Poldern, den eingedeichten Hochwasserschutzflächen, und meditiere auf diese Weise: „Polder hocken, Schiffe gucken, Schnauze halten.“ Das könnte man doch gut mal US-Präsident Donald Trump oder AfD-Chef Alexander Gauland entgegenhalten.

Das hätte vielleicht auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) beherzigen sollen, als er erklärte, er traue sich die Kanzlerkandidatur zu, sagte Gabriel noch. Und schob an den im Publikum sitzenden FDP-Vize Wolfgang Kubicki gerichtet nach: „Oder Wolfgang, wenn wir beide Andrea Nahles begegnen, denken wir beide kurz: …“. Gabriel musste die Polder, die Schiffe und die Schnauze nicht mehr erwähnen. Es wurde laut gelacht.

Der 59-Jährige hat immer noch Truppen in der Bundestagsfraktion. Mancher würde sich wünschen, SPD-Chefin Nahles würde ihren Vorvorgänger stärker in die Arbeit einbinden. Gerade in diesem großen Wahljahr. Doch Gabriel und Nahles verbindet tiefes Misstrauen. Nahles hält Gabriel auf Distanz. Dabei könnte der Mann aus Goslar mit seinem rhetorischen Vermögen der siechen SPD Thüringen wieder auf die Beine helfen.

Aber Gabriel schafft es immer wieder, die Genossen zu verärgern. Mit Blick auf sein im vergangenen Jahr vorgestelltes Buch „Zeitenwende in der Weltpolitik“ verwies er unlängst auf Twitter auf ein Zitat von Kubicki. Dieser sagte demnach wegen des Buches voraus: „Sigmar Gabriel wird mit der eigenen Partei mächtig Ärger bekommen.“ Ärger mit der SPD ist der Ex-Parteichef gewohnt. Daran würde er eine Rückkehr auf das politische Spielfeld nicht scheitern lassen.

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