Kommentar zur Amtsenthebung von Dilma Rousseff Schritt zurück

Meinung | Puebla · Mit dem Beschluss zur Amtsenthebung von Dilma Rousseff stehen auch die Sozialprogramme der vergangenen Jahre auf dem Spiel. Gelöst ist die politische Krise damit nicht.

 „Ich habe Fehler begangen, aber keine Verbrechen“: Dilma Rousseff gestern nach dem Senatsbeschluss.

„Ich habe Fehler begangen, aber keine Verbrechen“: Dilma Rousseff gestern nach dem Senatsbeschluss.

Foto: dpa

Dilma Rousseff ist entmachtet. Zumindest vorübergehend, denn bis ein endgültiger Entscheid fällt, können noch gut sechs Monate vergehen. Trotz Beachtung der Formalitäten hinterlässt das Verfahren einen schalen Eindruck. Da ist zum einen der fadenscheinige Vorwand – Haushaltstricksereien zur Vertuschung des Defizits – gegen eine Staatschefin, der im Gegensatz zu den meisten ihrer politischen Gegner bislang keine persönliche Bereicherung anzulasten ist. Da ist eine armselige politische Elite, die ihre Stimme bei der entscheidenden Abstimmung an den meistbietenden verhökert und Angst hat, selbst Opfer der Antikorruptionswelle der Staatsanwaltschaft zu werden. Und da ist ein machthungriger Vizepräsident, der die Intrige vorantreibt. Ein Musterbeispiel für Demokratie war das wahrlich nicht.

Um Demokratie geht es bei dem Verfahren auch nicht. Es geht um eine korrupte politische Oligarchie, die Angst hat um die eigenen Pfründe und der daran liegt, die Säuberungswelle zu stoppen – was Rousseff stets abgelehnt hat. Es geht um den politischen Opportunismus zweier bürgerlicher Parteien – die sozialdemokratische PSDB und die Mitte-Rechts-Partei PMDB –, die per Urne nicht an die Macht kamen. Und es geht um die Interessen der wirtschaftlichen Elite. Nicht, dass die es nicht mit der linken Arbeitspartei (PT), der Rousseff angehört, gekonnt hätte – die Banken fuhren Rekordgewinne ein, den Unternehmen ging es blendend, sie konnten dank der tatkräftigen Unterstützung von Expräsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva (PT) ihre Geschäfte weltweit ausbauen, und auch zahlreiche PT-Politiker verdienten daran gut. Doch in Zeiten des Booms, die mit den 13 Jahren PT-Regierung zusammenfielen, war es einfach, Sozialprogramme für die Armen auszuweiten, ohne die Privilegien der Reichen anzutasten.

Fußball-WM, Olympische Spiele – der Traum vom Aufstieg in die Riege der Supermächte ließ Brasilien über seine Verhältnisse leben und dringend nötige, aber schmerzhafte Strukturreformen etwa bei der Rente auf die lange Bank schieben. Nun, in der Krise, rächt sich das. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, wer die Kosten trägt.

Die sture Rousseff war nicht zu Einschnitten bei den Sozialausgaben oder zur Schrumpfung der Bürokratie bereit. Von den neuen Verbündeten erhoffen sich die Unternehmer mehr Zugeständnisse – in Erwartung des impeachment boomte die Börse bereits. Weniger Sozialhilfen, Steuererleichterungen, weniger strikte Umweltgesetze, Privatisierungen, Einschnitte bei den Arbeitsrechten – das sind Themen, die jetzt aufs Tapet kommen dürften. Die Elite will zurück zum alten gesellschaftlichen Status quo. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob das qua Amtsenthebung möglich ist, oder ob sich Widerstand in einer Bevölkerung regt, die sich dank der PT ihrer Rechte erst bewusst wurde.

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