Regierungskrise in Deutschland SPD-Genosse Schulz auf schmalem Grat

BERLIN · Die SPD versucht nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen, irgendwie in die Offensive zu kommen. Ein Parteichef, der eine große Koalition kategorisch ausschließt, ist ihr dabei womöglich doch im Weg.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Martin Schulz, dem Parteivorsitzenden der SPD.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Martin Schulz, dem Parteivorsitzenden der SPD.

Foto: dpa

Was nun? Martin Schulz kommt gerade aus Schloss Bellevue. Vier-Augen-Gespräch mit dem Bundespräsidenten. Gefühlswelt und Innensicht eines Kanzlerkandidaten, zumal eines unterlegenen, sind Frank-Walter Steinmeier wohl vertraut. 2009 hat Steinmeier selbst als SPD-Kanzlerkandidat eine Bundestagswahl krachend verloren. Acht Jahre später geht es nach gescheiterten Sondierungsgesprächen der politischen Konkurrenz um mehr als um lupenreine Parteiinteressen, persönliche Empfindlichkeiten oder eigene Perspektiven.

Antreten vor Steinmeiers Beichtstuhl. Nach den Parteichefs von Grünen, FDP, CSU ist am Donnerstag SPD-Chef Schulz bestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel war bereits am Montag da. Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beraten mit dem Bundespräsidenten. Aussprache unter Verfassungsorganen.

Wie aus allen Gesprächen zuvor, werden anschließend keine Inhalte bekannt. Schulz war darauf eingestellt, dass ihm Steinmeier wenig Begeisterung für die Idee einer Neuwahl entgegenbringen werde, hieß es zuvor im Willy-Brandt-Haus. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält“, hatte Steinmeier am Montag noch gesagt. Vor allem: „Alle in den Bundestag gewählten Parteien sind dem Gemeinwohl verpflichtet, sie dienen unserem Land. Ich erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um eine Regierungsbildung in absehbarer Zeit möglich zu machen.“

Große Koalition?

Ein klarer Wink an Schulz, der sehr früh am Wahlabend angesichts des desaströsen Ergebnisses den Gang in die Opposition für sich und für die SPD ausgerufen hatte. Ende der großen Koalition. „Mit dem heutigen Abend endet die Zusammenarbeit mit CDU/CSU.“ Wenigstens an dieser Stelle jubeln die konsternierten Genossen in der SPD-Zentrale.

Aber nun, da dieser 19. Bundestag gewählt ist, die Bildung einer nächsten Bundesregierung jedoch erst einmal außer Sicht geraten ist, kommt die SPD wieder ins Spiel. Das Problem: Schulz muss irgendwie runter von seiner Aussage, nicht wieder in eine schwarz-rote Bundesregierung eintreten zu wollen. Es wäre immerhin die dritte große Koalition innerhalb von vier Legislaturperioden. Österreichische Verhältnisse? In Deutschland nicht beliebt.

Verantwortung für Deutschland? Sinnigerweise schaltete sich sogar Siemens-Chef Joe Kaeser in die Debatte über stockende Gespräche über eine Regierungsbildung ein. Ein kleines Scharmützel mit dem SPD-Chef, der zuvor von „verantwortungslosen Managern“ wegen des massiven Stellenabbaus bei Siemens gesprochen hatte. Kaesers Replik in einem Brief an Schulz: Dieser möge sich überlegen, wer wirklich verantwortungslos handele. Die Frage der Dialogbereitschaft habe „ja auch bei der politischen Führung unseres Landes brennende Aktualität“.

Merkel strebt keine Minderheitsregierung an

Schulz und die SPD-Führung werden sich zumindest Gesprächen mit Merkel und den Unionsparteien kaum verweigern können. Eine Option: Die SPD duldet oder toleriert eine Minderheitsregierung der Union. Damit könnten die Sozialdemokraten auch eine Politik der dosierten Nadelstiche betreiben. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles ließ schon eine gewisse Aufgeschlossenheit für eine solche Minderheitsregierung erkennen, ebenso SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel. Kanzlerin Merkel würde damit eine Regierung führen, die erheblich instabiler wäre, als eine große Koalition, die von einem sondierten und dann ausgehandelten Vertrag getragen würde. Merkel machte wohl auch deshalb deutlich, dass sie eine Minderheitsregierung nicht anstrebt. „Ich glaube, dass dann Neuwahlen der bessere Weg wären.“ Deutschland brauche Stabilität.

Rein rechnerisch wäre eine Neuauflage der „GroKo“ jederzeit möglich. Doch Schulz befürchtet, die SPD würde sich in einer solchen Konstellation selbst nach dieser Niederlage mit einer Zustimmung von gerade noch 20,5 Prozent kaum erneuern können. Vor allem die Parteilinken in der SPD verhalten sich dazu skeptisch, während der konservative Seeheimer Kreis in der SPD-Bundestagsfraktion dafür plädiert, diesen Weg wenigstens offenzuhalten.

Der Grat, auf dem auch Schulz in diesen Tagen und Wochen der Orientierungssuche wandert, ist schmal. Ein falscher Schritt – schon könnte er abstürzen. Beim SPD-Parteitag in zwei Wochen in Berlin könnte auch für Schulz die Stunde der Wahrheit kommen. Schicken die Genossen womöglich doch einen Gegenkandidaten um den Parteivorsitz ins Rennen? Viel hängt für Schulz davon ab, wie sich die Unionsparteien jetzt positionieren und im Falle der CSU wohl auch personell aufstellen. Schulz mag sich von Neuwahlen frischen Zuspruch für die SPD versprechen, schließlich hat die politische Konkurrenz beim Versuch, ein Schiff nach Jamaika flott zu kriegen, Motorschaden erlitten. Nur ist er dann wieder Kanzlerkandidat?

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