Kommentar zum Terrorakt in der Türkei Recep Janus Erdogan

Meinung · Der Anschlag auf den Atatürk-Flughafen in Istanbul erschüttert die Türkei. Doch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan muss sich einige Fragen gefallen lassen, wie es um seine Verantwortung für die Entwicklung in seinem Land steht.

Die Nacht im Westen von Istanbul war verheerend, doch am Morgen nach dem Anschlag, keine acht Stunden später, läuft Atatürk Airport schon wieder in Normalbetrieb. Fotos von staubigen, traumatisierten Kindern auf Sanitäterliegen, von Bergen zurückgelassener Koffer transportieren noch den Schrecken, während erste Flugzeuge landen, als wäre am Vorabend nichts geschehen. Routine, so soll es wohl sein, signalisiert den Terrorlenkern, dass sich niemand einschüchtern lässt.

Routine löscht aber auch jedes Unbehagen, jeden Gedanken aus, der quer läuft zur schablonenhaften Rhetorik nach Anschlägen. Einheitlich zusammenstehen gegen Terror, das will Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit der Weltgemeinschaft. Tatsächlich?

Richtig ist, dass keine westliche Metropole – siehe Brüssel, Paris, London, New York – vor Terroranschlägen sicher ist, dass die Opfer überwiegend nichts mit den Kränkungen radikal islamischer Selbstmordattentäter zu tun hatten. Montagabend wurden gar gläubige Muslime Ziel, die zum Zuckerfest nach Hause reisten.

Anschlagsopfer sterben wahllos, überall. Das eint sie auf traurige Weise, doch es rechtfertigt nicht, dass Erdogan die Toten von Istanbul instrumentalisiert, um auch sich in den Kreis anderer, von Terror betroffener westlicher Staatschefs einzureihen. Wenn die Türkei dem Terror gemeinsam mit anderen Nationen wirklich hätte die Stirn bieten wollen, wie Erdogan gestern scheinheilig behauptete, dann hätte sie den Islamischen Staat nicht so lange hofiert.

Unter Erdogans verschlossenen Augen konnte sich der IS, dem die Istanbuler Anschläge zugeschrieben werden, prächtig entfalten. Ausländische Gotteskrieger werden über türkische Hotels nach Syrien geschleust, verwundete Kämpfer ziehen sich von dort zurück in die Türkei. Waffentransporte, Logistik, Planung, Versorgung des IS sind ohne die Türkei nicht denkbar. Berichte türkischer Sicherheitskreise, aber auch von Hilfsorganisationen, die sich mit dem Weg radikalisierter Jugendlicher beschäftigen, bestätigen das.

Ein starker IS nutzt Erdogan, den syrischen Herrscher Baschar al-Assad und das alewitische Regime zu schwächen. Es waren die Alewiten, die in den Achtzigern die Kurden unterstützt haben. Priorität hat für ihn, die Kurden am Boden zu halten, nicht den IS im eigenen Land auszuheben. Das probiert er seit Kurzem zwar halbherzig. Doch es ist zu wenig, zu spät. 3000 Kämpfer sollen es sich inzwischen in der Türkei heimisch gemacht haben. Währenddessen attackiert Erdogan mit Verve kritische Journalisten, Schwulen-Demos, russische Kampfjets und einen mittelmäßig gefährlichen Jan Böhmermann...

Längst rächt sich die Allianz mit dem IS. Im Januar schlugen die Terroristen an der Blauen Moschee zu, im März auf einer belebten Einkaufsstraße. Jetzt attackierten sie mit dem Flughafen ein Symbol des türkischen Wirtschaftsaufschwungs. Um ein Drittel sind die Touristenzahlen seit Januar in der Türkei eingebrochen. Klar, niemand hat Lust auf Panik statt Erholung. Auch das Mantra der Reiseindustrie („Daheim bleiben bringt nichts“) gehört auf den Prüfstand der Terror-Routinen. Wem die Lage zu unsicher ist, der soll zu Hause bleiben können – ohne schlechtes Gewissen.

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