Einführung des Kriegsrechts in Thailand Putsch auf Raten

BANGKOK · Als Soldaten 16 Stunden vor der Verhängung des Kriegsrechts in Thailand am Montagmorgen auf dem Gelände des 1. Regiments der Königsgarde in Bangkoks Stadtteil Ding Daeng heimlich die Einsatzzentrale aufbauten, fabrizierten sie einen Kurzschluss.

Zwei Stunden lang schwitzten Armeechef Prayuth Chan-ocha in seinem Privathaus, die komplette Generalität und die gesamte Umgebung ohne Strom und Klimaanlage. Dennoch überraschte der General gestern Morgen mit der Verkündung des Kriegsrechts das südostasiatische Königreich und die amtierende Regierung. "Die Streitkräfte haben das einseitig gemacht, ohne uns zu informieren", sagte der amtierende Verteidigungsminister General Nipat Thonglek.

Nach siebenmonatiger politischer Krise mit fast 30 Toten - darunter mehrere Kinder - und rund 900 Verletzten sucht die Nation händeringend nach einem Ausweg. Der General setzte 20.000 Soldaten ein, um in den frühen Morgenstunden neuralgische Punkte in der Hauptstadt Bangkok zu übernehmen. Jeeps mit Maschinengewehren brachten in Teilen der Millionenmetropole den Verkehr zum Erliegen. Rund 100.000 Rothemden, wie Anhänger der 2011 gewählten Regierung genannt werden, wurden im Westen der Stadt auf der Aksa-Straße weiträumig eingekesselt.

Ein paar Tausend Regierungsgegner rund um das Demokratiedenkmal im alten Stadtkern stehen seit gestern Morgen ebenfalls unter Armeeaufsicht. "Das ist kein Staatsstreich", beteuerte der Armeechef am frühen Morgen, "wir versuchen, die Sicherheit zu wahren und Gewalt zu verhindern." Ein paar Stunden später waren viele Soldaten mit ihren Stahlhelmen wieder aus dem Straßenbild verschwunden.

"Es ist gut, dass die Armee endlich eingreift", sagt die 39-jährige Obstverkäuferin Angcharee Ngankaeng auf der Insel Khai Nok in Thailands Pha Nga-Distrikt nahe dem Touristenzentrum Khao Lak, "ich will kein Blutvergießen mehr." Wie sie reagierten viele Thailänder auf die Verhängung des Kriegsrechts. Sie hoffen, dass die Armee ein Wunder vollbringen kann.

Nach wie vor stehen sich die 2011 gewählte Regierung und die Regierungsgegner um Suthep Thaugsuban sowie die monarchistische Elite unversöhnlich gegenüber. Statt ewigem Streit erlebte Thailand gestern die Folgen der bleiernen Stimmung autoritärer Herrschaft. Zehn Fernsehsender waren geschlossen. Die Militärs verboten die Verbreitung politisch kontroverser Inhalte und ordneten an, ihre Verlautbarungen umgehend zu veröffentlichen. Das Kriegsrecht, in Thailand erstmals vor genau 100 Jahren eingesetzt, erlaubt den Generälen, ohne Angaben von Gründen zur "Wahrung der Nationalen Sicherheit" jeden zu verhaften.

Es verbietet den Generälen allerdings, sich um administrative Aufgaben der zivilen Regierung zu kümmern. Das kümmerte General Prayuth wenig. Er beorderte die Chefs aller Behörden zu sich, um Anweisungen zu geben. "Wo ist die Regierung?" fragte der Armeechef höhnisch bei einer Pressekonferenz. "General Prayuth wandelt auf einer sehr dünnen Linie", warnt der ehemalige Offizier Sanit Nakajitti von der Sicherheitsberatungsfirma PSA Asia, "er muss neutral erscheinen und darf keine Seite vergrätzen."

Laut Gesetz muss die zivile Regierung in den kommenden Tagen das Kriegsrecht vom König absegnen lassen. "Da Prayuth niemand informierte, muss man davon ausgehen, dass die amtierende Regierung bald nicht mehr amtieren wird", sagt ein Kenner der Streitkräfte, "und eine andere ernannt wird." Sein Umfeld drängt den unwilligen Armeechef, diese Rolle selbst zu übernehmen.

Als Alternative ist der 74-jährige Ex-Verteidigungsminister und Armeechef General Prawit Wongsawan im Gespräch, der führende Kopf hinter den Protesten des letzten halben Jahres. Sollte er Neuwahlen verschieben, werden die Anhänger der Regierung protestieren. Hält er bald Neuwahlen ab, wird die Elite Bangkoks wieder auf die Barrikaden gehen. Es kann gut sein, dass der Kurzschluss im Hauptquartier von Prayuth nur das erste Desaster beim Vorgehen der Streitkräfte war.

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