Kommentar Pflegenotstand in Krankenhäusern - Vogel-Strauß-Politik

Manchmal sorgen kleine Affären für große Empörung, und die Medien sind daran nicht ganz schuldlos. Warum aber bleibt der gesellschaftliche Aufschrei bei den größten Skandalen dieser Republik aus, selbst wenn die Medien nicht müde werden, immer und immer wieder darüber zu berichten? Der Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern ist ein solcher dauerhafter Mega-Skandal.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt. Und doch muss jeder, der alt ist oder wird, Angst davor haben, in ein Krankenhaus zu kommen und dort nicht gut gepflegt zu werden, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Drastischer gesagt: Die Vermutung liegt nahe, dass der Mangel an Krankenschwestern und Pflegern Menschen quält und sogar tötet. Fast alle, die einmal selbst im Krankenhaus lagen oder Angehörige dort besucht haben, ahnen das. Vor allem das Pflegepersonal weiß, wenn auch meist im Schutze der Anonymität, ein trauriges Lied davon zu singen.

Warum kann es sich ein Minister dann leisten zu sagen, alles sei prima? Warum schauen die Menschen achselzuckend zu, wenn Krankenhaus-Funktionäre, Bundes- und Landespolitiker sich wechselseitig den schwarzen Peter zuschieben, statt das Problem zu lösen? Die Antwort ist beschämend einfach und einfach beschämend: Krankheit und Tod sind keine Themen, mit denen sich die Menschen befassen wollen.

Darüber schweigt man lieber, das verdrängt man gerne, so lange es geht. Außerdem würde es sehr viel Geld kosten, den Pflegenotstand nachhaltig zu bekämpfen. Ganz ehrlich: Das kann nur über drastisch steigende Kassen- und Versicherungsbeiträge finanziert werden. Und damit ist kein Staat zu machen, jedenfalls keine Wahl zu gewinnen. Da werden angebliche "Überschüsse" im Gesundheitssystem, und seien die Missstände noch so groß, lieber wieder an die Beitragszahler "zurückgegeben". Die eigentliche Rechnung wird dann später präsentiert: im Krankenhaus, wenn man vergeblich auf die Schwester wartet.

Der größte Posten im Krankenhausbudget ist, wie in sehr vielen Unternehmen, das Personal. In den vergangenen 15 Jahren wurden in Deutschlands Kliniken trotzdem 3000 Ärztestellen geschaffen. Der Grund liegt auf der Hand: Mit der Einführung von Fallpauschalen wurde es lukrativ, möglichst viele Patienten in kurzer Zeit zu behandeln. Dafür benötigte man medizinisches Personal. Zugleich jedoch wurden rund 50.000 Pflegerstellen gestrichen, obwohl eine kürzere Liegedauer den Anteil der Patienten mit größerem Pflegeaufwand und damit die Belastung für das Pflegepersonal erhöht hat.

Perspektivisch wird es noch schlimmer: Denn der Anteil besonders alter, morbider Menschen steigt ebenso stetig, wie das Interesse junger Menschen an einem wenig attraktiven Pflegeberuf mit schlechtem "Preis-Leistungs-Verhältnis" sinkt. Bis 2025 werden mehr als 100.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen. Da helfen auch keine "Betriebs-Kitas" oder flexiblere Arbeitszeiten. Vielleicht steigt das Interesse der Gesellschaft an diesem Thema ja mit zunehmendem Durchschnittsalter. Spätestens dann, wenn der pflegebedürftige Teil der Wählerschaft Wahlen entscheidet, wird sich etwas ändern. Hoffentlich ist es dann nicht für uns alle zu spät.

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