Kommentar zum Papst in Auschwitz Papst darf schweigen

Meinung | Krakau · Darf ein Papst in Auschwitz stumm bleiben? Das Wagnis ist gelungen. Die stille Demut wirkte glaubhaft.

Auschwitz ist nicht nur das NS-Lager, an dem Massenmord industriell betrieben wurde. Auschwitz ist ein symbolischer Ort. Er steht für das Böse im Menschen und aus religiöser Perspektive betrachtet für die Abwesenheit Gottes. Warum hat der Allmächtige, wenn er allmächtig ist, dieses Grauen zugelassen, fragen sich gläubige Menschen hier. Dies ist auch die Frage, die alle Päpste seit Johannes Paul II. bei einem Besuch dieses Ortes begleitet hat. Am Freitag war Franziskus in Auschwitz.

Der Papst entschied sich dafür, die Frage unbeantwortet zu lassen und zu schweigen. Franziskus sagte während seines knapp zwei Stunden dauernden Besuchs kein Wort, sondern gedachte der mehr als einer Million vor allem jüdischer Auschwitz-Opfer in Stille. Aber darf das ein Papst? Darf man als Oberhaupt einer Glaubensgemeinschaft, die im Zusammenhang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus nicht nur Verdienste hat, sondern auch Schuld auf sich geladen hat, in Auschwitz stumm bleiben?

Das Wagnis ist gelungen. Der Besuch war sichtbar in seiner Wirkung kalkuliert und inszeniert, etwa als Franziskus aus seinem Wagen stieg, um ein paar Meter zu Fuß durch das Eingangstor mit der Schrift „Arbeit macht frei“ zu gehen. Aber die stille Demut wirkte glaubhaft. Ein deutscher Papst, der in Auschwitz schweigt, wäre befremdlich gewesen. Ein Argentinier, der seit Jahren nachweislich um Ökumene und ein gutes Verhältnis zwischen Katholiken und Judentum bestrebt ist, kann am Ort des Bösen auch schweigen. Und mit dieser Stille trotzdem viel sagen.

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