Orban-Kampagne gegen Juncker

Brüssel · Im Umgang mit der rechtsnationalen ungarischen Regierungspartei Fidesz von Viktor Orban deutet sich ein Kurswechsel in der Union sowie der Europäischen Volkspartei an.

 Hetzkampagne gegen Brüssel: Ein Plakat der Regierungspartei Fidesz in der ungarischen Hauptstadt Budapest. FOTO: AP

Hetzkampagne gegen Brüssel: Ein Plakat der Regierungspartei Fidesz in der ungarischen Hauptstadt Budapest. FOTO: AP

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Die Plakate zeigen Jean-Claude Juncker, den Präsidenten der Europäischen Kommission, und George Soros, den jüdischen Milliardär, der weltweit Hochschulen finanziert. Für die Bildmontage wurden Fotos gewählt, auf denen beide unnatürlich verzerrt lächeln. Unter dem Leitmotto „Auch Sie haben ein Recht zu erfahren, was Brüssel vorbereitet“, wird den beiden vorgeworfen, eine „verpflichtende Aufnahmequote für Flüchtlinge zu fordern, die Rechte der Mitgliedsländer zur Grenzverteidigung zu schwächen und die Einwanderung mit Migrantenvisa zu erleichtern.“

Seit einigen Tagen hängen die Plakate auf den Straßen Ungarns, finanziert aus den Mitteln der Regierungspartei Fidesz, die zur christdemokratischen Familie der Europäischen Volkspartei (EVP) gehört. Hinter allem steckt Viktor Orbán, seit 2010 Regierungschef in dem einstigen Ostblockland. Die Kampagne, die in Brüssel offen als „Hetze“ und „Diffamierung“ bezeichnet wird, eskalierte in dieser Woche. Juncker warf dem Ministerpräsidenten in Budapest „Lügen“ vor und betonte: „Es gibt zwischen Herrn Orbán und mir keinerlei Schnittmengen.“ Damit nicht genug: Juncker sprach sich offen dafür aus, die Regierungspartei Fidesz aus den Reihen der EVP zu entfernen: „Mein Freund Manfred Weber muss sich die Frage stellen, ob er diese Stimmen überhaupt braucht“, so Juncker.

Tatsächlich wird die Auseinandersetzung immer mehr zur Gefahr für den Spitzenkandidaten der Christdemokraten, den CSU-Politiker Manfred Weber. Der hatte zwar zuletzt ebenfalls die immer tieferen Einschnitte der Regierung Orbán in die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz und die rechtsstaatlichen Garantien kritisiert, hielt aber an der Fidesz-Mitgliedschaft in der EVP fest. Der Süddeutschen Zeitung sagte Weber am Donnerstag lediglich, Teile der jüngsten Rede des ungarischen Regierungschefs und dessen Plakatkampagne gegen Juncker „lösen in der EVP großes Unverständnis und Verärgerung aus“. Er halte „manche Formulierungen für inakzeptabel“.

Doch das dürfte auf Dauer nicht reichen. Der Druck auch aus den Unionsparteien auf ihren europäischen Frontmann wächst. Bisher galt es zwar als Konsens, Orbán lieber in den eigenen Reihen zu halten als ihn in die Arme von rechten Populisten wie dem italienischen Lega-Nord-Chefs Matteo Salvini oder der Französin Marine Le Pen zu treiben. Zu groß scheint den Christdemokraten das Risiko einer neuen Rechten im EU-Parlament. Immerhin hatte Salvini schon bei Orbán in dieser Richtung vorgefühlt. Weber braucht nach den Europawahlen am 26. Mai eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, die wohl ohne Sozialdemokraten, Grüne und Liberale nicht zu schaffen ist. Aus allen drei Parteien hieß es inzwischen, man werde keinen „Kommissionspräsidenten von Orbáns Gnaden“ unterstützen, wie es der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff ausdrückte. Weber muss sich positionieren – und tut sich scheinbar schwer damit. Immerhin hatte seine CSU noch vor zwei Jahren den Ungarn zur Klausurtagung eingeladen.

Bis zum Mittwoch dieser Woche gab es bei der EVP noch keinen formellen Antrag auf Ausschluss. Den müssten mindestens sieben christdemokratische Parteien aus fünf Ländern stellen. Dann würde eine Mehrheit der Mitgliedsparteien reichen. Das Verhältnis zwischen Orbán und Juncker galt lange als eher kumpelhaft. Der Kommissionspräsident pflegte den Ungarn über Jahre hinweg mit „Herr Diktator“ zu begrüßen. Orbán nannte Juncker in Anspielung auf seine Luxemburger Herkunft „Großherzog“. Aber seit die Kommission ein Strafverfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gegen Ungarn eingeleitet hat, das am Ende zum Entzug der Fördergelder führen könnte, gilt das Tischtuch als zerrissen. Dabei riskiert Orbán selbst viel: Mehr als ein Viertel seines Staatsetats bestreitet der Regierungschef mit Zuwendungen aus Brüssel.

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