US-Geheimdienste Obama wird wohl auf Zeit spielen

WASHINGTON · Die jüngste Enthüllung aus dem Fundus von Edward Snowden gilt unter TV-Komödianten in den USA als vorweggenommener Kommentar zu einer Rede, die noch gar nicht gehalten wurde.

Tenor: Egal, wie tiefgreifend oder kosmetisch die Reformen der National Security Agency (NSA) ausfallen werden, die Präsident Obama morgen um 17 Uhr deutscher Zeit im Justizministerium präsentieren will - der mächtigste Geheimdienst der Welt wird auch außerhalb von Telefon- und Internetleitungen seine Spähaktivitäten fortsetzen.

Laut "New York Times" sind 100 000 strategisch wichtige Computer weltweit mit Software bestückt, die den Zugriff auf sensible Daten auch dann möglich macht, wenn die Geräte offline sind. Dazu nutzen die Techniker der NSA-Zentrale Radiowellen. Mithilfe von USB-Karten, die von Spionen oder unwissenden Herstellern eingesetzt werden, wird die erwünschte Datenmenge transportiert.

Die pauschale Begründung der NSA für diese Umgehungsstrategie - "aktive Verteidigung nationaler Sicherheitsinteressen" - wird sich aller Voraussicht nach auch wie ein roter Faden durch das Redemanuskript des Präsidenten ziehen.

Woraus Experten aus der Sicherheitsszene in Washington schließen: "Der Aktionsradius der NSA wird allenfalls moderat eingeschränkt. Niemand sollte mit einschneidenden Entscheidungen rechnen. Obama wird vage bleiben, auf Zeit spielen und den Kongress mit ins Boot ziehen wollen."

Was hieße, dass die insgesamt 46 Empfehlungen, die ein von Obama installiertes Expertengremium vor Wochen präsentiert hatte, allenfalls in homöopathischen Dosen umgesetzt würden. Oder gar nicht. Letzteres zeichnet sich bei dem zentralen Vorschlag ab, dem Staat, also der NSA, die Zuständigkeit für das Sammeln und Aufbewahren von täglich zig Millionen Telefon- und Internetdaten (Metadaten) weltweit zu entziehen und stattdessen damit die großen Kommunikationsgesellschaften wie Verizon, AT & T oder Google zu beauftragen.

Obama sei wahrscheinlich nicht dafür, heißt es aus Verhandlungskreisen. Aus Sicherheitsgründen: Die NSA stünde als Bittsteller da und müsste längere "Anfahrtswege" zu den Daten gewärtigen. Außerdem halten die Telefongesellschaften nichts davon. Ihnen ist der Auftrag zu teuer und zu heikel. Offen war vor der Schlussredaktion der Obama-Rede, ob das juristische Herzstück der Überwachung - die geheim tagenden Sondergerichte (FISC) - zu mehr Transparenz verdonnert wird.

Die Kommission, der unter anderem Ex-CIA-Vize Michael Morell angehörte, bekräftigte in einer Kongressanhörung die Sinnhaftigkeit eines Ombudsmannes. Er würde etwa von Bürgerrechtsorganisationen entsandt, wenn FISC darüber entscheidet, ob die NSA in einem konkreten Fall die Verbindungsdaten nutzen darf, um das ganze Anti-Terror-Netz auszuwerfen und in die Tiefe zu recherchieren.

Spektakulär ist in diesem Zusammenhang die Intervention von John D. Bates. Der einst an einem dieser Sondergerichte (FISC) beschäftigte Richter wandte sich gestern massiv gegen die Öffnung der Geheimgerichte. Pikant dabei: Bates machte den Vorstoß auf Wunsch von John Roberts. Wird sich Obama gegen den Chef des Obersten Gerichtshofes stellen?

NSA-Experten am libertären Cato-Institut rechnen mit einem "Spagat, der vieles offen lässt". Der Präsident werde versuchen, die Erwartungen von Bürgerrechtlern nach mehr Schranken gegen die Sammelwut der Geheimdienste zu bedienen, ohne den seit den Terroranschlägen von 2001 hochgezüchteten Sicherheitsapparat zu vergrätzen.

Die Doktrin, die Ex-CIA-Chef Morell im Senat anführte, hat dabei im Weißen Haus viele Freunde. Kurzfassung: Wenn die NSA und ihre Überwachungsverfahren auch nur einen einzigen Terroranschlag verhinderten, habe sich der Aufwand bereits bezahlt gemacht. Für die aufgewühlte europäische Öffentlichkeit wird Obama wohl nur ein Trostpflaster haben. In einer 180-Tage-Studie, so hat die "New York Times" erfahren, soll untersucht werden, ob die bestehenden Gesetze zum Schutz der Privatsphäre von Ausländern ausreichen oder nicht.

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