Wirtschaftsentwicklung Neue Studie mahnt einschneidende Reformen an

Berlin · Frankreich hat große Probleme mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Auswirkungen haben die wirtschaftlichen Sorgen auch auf Deutschland.

Bleich werden führende deutsche Politiker, wenn sie sich vorstellen, dass die Franzosen ein Staatsoberhaupt wählen, das dem „Brexit“ den „Frexit“ folgen lassen will, den Ausstieg Frankreichs aus der EU. Dann sei das europäische Projekt gestorben. Nicht von ungefähr gehen deshalb Europa-Freunde derzeit jedes Wochenende auf die Straße – auch als Demonstration in Richtung Frankreich, wo am übernächsten Wochenende entschieden wird, welche beiden Kandidaten in die Stichwahl am 7. Mai geschickt werden. Elf Kandidaten sind übrig geblieben, und der Abstand zu den beiden Favoriten, der rechtspopulistischen EU-Gegnerin Marine Le Pen und dem unabhängig-liberalen EU-Anhänger Emmanuel Macron, wird immer kleiner. Die Wahl ist offen.

Der Linke Jean-Luc Mélenchon hat Erfolg mit seinem gegen die deutsche Stabilitätspolitik gerichteten Wahlkampf. Er ist den Favoriten dicht auf den Fersen mit Feststellungen wie der vom „starken Frankreich“, das 18 Prozent der europäischen Wirtschaftskraft stelle. Ins gleiche Horn bläst der Sozialist Benoît Hamon.

Dabei belegt eine neue, noch unveröffentlichte Studie des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW), dass Frankreich an weiteren einschneidenden Reformen nicht vorbeikommt. Ein Jahrzehnt habe Frankreich bis 2005 in der Wirtschaftsentwicklung vor Deutschland gelegen, sei seitdem aber zurückgefallen. Inzwischen stehe das Land bei der globalen Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 21 von 138 Ländern und damit weit hinter Großbritannien (Platz 7) und Deutschland (Platz 5).

Große Probleme haben die Nachbarn mit der Arbeitslosigkeit. Sie stieg in der Amtszeit von François Hollande von 9,7 auf 10 Prozent. Als Arbeitslose registriert sind aktuell allein 654 000 junge Leute unter 25 Jahren, und damit fast jeder Vierte in dieser Altersgruppe. Zugleich sind Frankreich und Deutschland nicht nur politisch als traditioneller Motor für die Entwicklung der EU, sondern auch wirtschaftlich eng verzahnt: Voriges Jahr betrug der Wert der nach Frankreich verkauften Waren laut IW-Studie 101 Milliarden Euro. „Deutschland kann es demnach nicht kalt lassen, dass die Franzosen große wirtschaftliche Probleme haben“, schreiben die Wirtschaftsforscher.

Sie sehen als Ursache die hohen Arbeitskosten und die strengen Regulierungen. Und sie verweisen auf die Finanzpolitik, die den französischen Schuldenberg auf zuletzt 2150 Milliarden Euro wachsen ließen. Selbst nach Abzug der Zinszahlungen sei der französische Haushalt weiter im Minus. Voriges Jahr betrug die Verschuldung 96,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Die IW-Studie bescheinigt dem Konservativen François Fillon, die „weitestgehenden Veränderungen“ zu wollen. Doch die Affäre um die Scheinbeschäftigung von Angehörigen ließ seine Aussichten schwinden. Positiv bewerten die Forscher die Vorhaben Macrons, allem voran die altersabhängige Arbeitszeit, das flexible Renteneintrittsalter, die Steuerfinanzierung des Arbeitslosengeldes, steuerliche Anreize für unternehmerische Innovationen, geringere Sozialabgaben und deren Gegenfinanzierung durch Verbrauchssteuern.

Das IW-Fazit: „Damit sind Reformvorhaben in der Diskussion, die mit den Empfehlungen internationaler Organisationen im Einklang stehen.“ Allerdings nennen es die Forscher „eher fraglich“, ob die Franzosen die Kraft finden, diese Maßnahmen umzusetzen.

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