Bundestagswahl 2017 Merkel als Anker in rauen Zeiten

Berlin · Die Union hat die Flüchtlingskrise trotz einiger Umfragetiefs überstanden. Kanzlerin Angela Merkel stärkte ihre eigene Position und schwächte die Konkurrenz.

Angela Merkel hat ihrer CDU in den vergangenen vier Jahren wieder einmal viel zugemutet. Zuletzt hat sie die letzte rote Linie für Wertkonservative, die Öffnung der Ehe für Homosexuelle, überschritten. Die CDU ist unter der Führung der Physikerin aus Brandenburg noch pragmatischer geworden. Man kann das modern finden, ihre Kritiker nennen es beliebig.

Beim Wähler kommt ihr Stil weiter an. Umfragen sehen die CDU seit Längerem stabil bei fast 40 Prozent. Seit der Schulz-Hype Anfang des Jahres verglüht ist, die SPD in sicherem Abstand bei weit unter 30 Prozent verharrt, hört man keine Kritik mehr an Merkel aus der Union. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer, der sie in der Hochphase der Flüchtlingskrise 2015 scharf kritisierte, sagte kürzlich, er vertraue der Bundeskanzlerin „blind“.

Die vergangenen vier Jahre haben der Union allerdings auch gezeigt, wie rasch der Wind sich drehen kann. Die Wähler sind heute weniger gebunden an eine Partei. Viele entscheiden sich erst wenige Tage vor der Wahl. Weder die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten noch den Brexit hatten die Meinungsforscher in ihren Umfragen vorausgesehen. Auch die Union ist in diesem Wahlkampf vorsichtiger und gibt sich lieber nicht allzu siegesgewiss.

Hinter ihr liegen durchaus turbulente vier Jahre. Die Flüchtlingskrise hat ihre Spuren hinterlassen. Merkels Image, die Dinge stets mit Ruhe zu durchdenken, immer aber alles unter Kontrolle zu haben, hat damals Schaden genommen.

Es war im Sommer 2015, als Merkel ihren berühmten Satz sagte: „Wir schaffen das.“ Wenige Wochen später begann die Stimmung zu kippen. Über die Balkan-Route kamen jeden Tag Tausende Flüchtlinge an, man wusste nicht, wer sie sind. Man wusste auch nicht genau, wie viele es sind. Das große Willkommen vieler Deutscher, die die Hilfsbereitschaft für richtig hielten, wich allmählich Zweifeln, ob Helfer und Behörden dem Ansturm gewachsen sind. Es folgte die Silvesternacht in Köln mit Übergriffen auf Frauen, verübt von Asylbewerbern. Ausgerechnet die CDU, die sich für die innere Sicherheit seit jeher zuständig fühlt, hatte die Kontrolle verloren.

Merkel war die Flüchtlingskanzlerin, die in aller Welt mit Selfies von Flüchtlingen für Aufsehen sorgte. Ihren parteiinternen Kritikern hielt sie damals dennoch entgegen: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen, dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Solche deutlichen Worte hat man von der sonst eher abwägenden Kanzlerin, der man immer genau zuhören muss, um ihre Botschaft zwischen den Zeilen zu erahnen, selten gehört. Die Umfragen sanken, die Partei war verunsichert. Viele Beobachter sahen damals das Ende ihrer Kanzlerschaft nahen.

Für die Parteien im Bundestag – SPD, Grüne und Linke – war sie in dieser Zeit aber auch unangreifbar. Wenn schon die Unionskanzlerin selbst die Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, kann man kaum fordern, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Zumal solche Forderungen in der Bevölkerung damals schon nicht mehr gut ankamen. Dafür war die AfD im Aufwind, erreichte bundesweit in Umfragen zweistellige Werte.

Fast unmerklich hat Merkel daraufhin erneut eine Kehrtwende vollzogen. An den Grenzen wurde wieder kontrolliert, mit dem Türkei-Abkommen wurde der ungebremste Zustrom aus Syrien und anderen Ländern gestoppt, es wurde konsequent abgeschoben. Die Flüchtlingskrise war weiter ungelöst, das Image der mitfühlenden „Flüchtlingskanzlerin“ aber hatte Merkel behalten.

Als sie zwei Jahre später in diesem Juni das Wahlprogramm der Union zusammen mit Seehofer vorstellte, war fast wieder alles beim Alten. Der Titel des Programms „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ verspricht einen moderaten Regierungsplan, ein paar Steuererleichterungen hier, ein bisschen Unterstützung für Familien dort, Arbeit für alle. Das Thema Flüchtlinge erhält nicht einmal ein eigenes Kapitel. Schon die Entstehung des Programms spricht Bände über die CDU unter Merkel. Nur einige wenige Parteigrößen waren in die Erarbeitung eingebunden, der Vorstand sollte es am Vormittag beschließen, mittags präsentierten es die Chefin und Seehofer der Öffentlichkeit.

Die Kanzlerin diktiert das Verfahren, parteiinterne Debatten sind unerwünscht. Das Programm ist so seicht wie klug gewählt. Viele Menschen nehmen die Welt der Trumps, Erdogans und Putins als unsicher wahr.

Merkel wirkt dazwischen wie ein beruhigender Anker. „Wir leben in einem tollen Land“, sagt sie bei Wahlkampfauftritten. Die CDU zieht mit dem Versprechen in den Wahlkampf, dass das mit ihr so bleibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort