Reaktionen auf den Ausbruch in Rheinbach "Menschliches Versagen und artistische Meisterleistungen"

Hat Nordrhein-Westfalen ein Knast-Problem? Zumindest die Zahlen sind eindrucksvoll: Allein zwischen 2010 und 2012 türmten im bevölkerungsreichsten Bundesland 459 Gefangene.

 Kutschaty wirbt für neuen Mordparagraphen

Kutschaty wirbt für neuen Mordparagraphen

Foto: dpa

In Bochum entwischten 2012 drei Straftäter innerhalb weniger Wochen - beim Krankenhausaufenthalt, beim Einsatz in einem Putztrupp oder durch eine Dachluke. Eine filmreife Flucht gelang erst im Mai 2014 einem Gefangenen in Gelsenkirchen: Der schmächtige Mann bog die Gitterstäbe seiner Zelle auseinander und zwängte sich hindurch.

Die Zahl der 459 Getürmten will man im NRW-Justizministerium allerdings differenziert verstanden wissen: "Hierbei handelt es sich um Flüchtige, die außerhalb der Haftanstalt entweichen konnten", betont Sprecher Detlef Feige. Heißt: Straftäter setzen sich im offenen Vollzug ab, machen sich im Krankenhaus von dannen - oder kommen schlicht verspätet aus dem Hafturlaub zurück. Die Zahl der tatsächlichen Gefängnisausbrüche beläuft sich in NRW im Schnitt auf einen pro Jahr, 2014 waren es drei. Als Ursachen hat das Justizministerium eine Reihe von Schwachstellen identifiziert: "Versagen von Bediensteten, artistische Meisterleistung, Fassadenkletterei und Hilfe von außen in Form einer Leiter".

Nach den Skandalen der letzten Jahre hat NRW-Justizminister Thomas Kutschaty personelle Konsequenzen gezogen und lässt zudem viele Gefängnisse modernisieren. 545 Millionen Euro fließen in den kommenden zehn Jahren in technische Aufrüstung, Scanner, Überwachungskameras, Um- und komplette Neubauten wie etwa in Münster. 2700 Haftplätze an vier Standorten profitieren von den Investitionen.

Doch offenbar reichen die Maßnahmen nicht aus. Die JVA Rheinbach gilt seit ihrer Modernisierung als eine der sichersten Haftanstalten in Nordrhein-Westfalen. "Dass es einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder dennoch gelungen ist, mit einem simplen Trick aus der Anstaltsschreinerei zu flüchten, wirft erhebliche Fragen auf", kritisiert der rechtspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jens Kamieth. "Eine Gitterbox für Holzabfälle dürfte jedenfalls kein Versteck sein, das von außen nicht einsehbar gewesen wäre", sagt er - und fragt: "Ist es üblich, dass solche Behältnisse vor dem Verlassen des Anstaltsgeländes nicht überprüft werden?" Den Ausbruch des verurteilten Kapitalverbrechers nennt er "unglaublich".

"Die Gefängnisse sind im Laufe der Jahre immer sicherer geworden", betont hingegen Justizminister Thomas Kutschaty, "und sie werden immer sicherer." Er fügte allerdings auch hinzu: "Absolute Sicherheit gibt es nicht." Im Fall des Flüchtigen aus Rheinbach bleibt noch zu klären, ob menschliches Versagen eines Bediensteten den Vorfall verschuldete oder ob der Häftling Hilfe hatte. Der Faktor Mensch sei, wie überall, eine mögliche Schwachstelle, so Sprecher Detlef Feige. Peter Biesenbach, Jurist und Vize-Chef der CDU-Landtagsfraktion, gehört angesichts der Reihe spektakulärer Gefängnispannen zu Kutschatys deutlichsten Kritikern. Im Fall Rheinbach will er jedoch abwarten, was die weiteren Untersuchungen ergeben: "Wenn alle Vorschriften eingehalten werden, darf so ein Ausbruch angesichts der technischen Ausstattung nicht passieren." Er schließt bewusstes oder fahrlässiges Fehlverhalten der Bediensteten nicht aus. Solche Fälle ließen sich auch mit der teuersten Aufrüstung nicht vermeiden: "Menschliche Unzulänglichkeit kann man mit Geld nicht in Griff bekommen."

Bei der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses am 13. Mai wird Thomas Kutschaty einige Fragen zu beantworten haben.

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