Wahlen in Österreich Meinung: Menetekel

Meinung | Bonn · In Österreich ist eingetreten, was sich bisher niemand hat vorstellen können. Im ersten Wahlgang um die Position des Bundespräsidenten haben sich zwei Kandidaten für die Stichwahl qualifiziert, die nicht zu den Sozialdemokraten (SPÖ) oder zur christlich-konservativen Volkspartei (ÖVP) gehören.

 Der Bundespräsidentenkandidat der FPÖ, Norbert Hofer, feiert seinen Sieg im ersten Wahlgang.

Der Bundespräsidentenkandidat der FPÖ, Norbert Hofer, feiert seinen Sieg im ersten Wahlgang.

Foto: dpa

Einst stritten die beiden Großen um absolute Mehrheiten. Heute sind sie klein und unscheinbar. Dieser Niedergang ist zu einem guten Teil selbstverschuldet, und er ist ein Menetekel für die deutsche Parteienlandschaft. SPÖ und ÖVP regieren gefühlt schon seit Jahrzehnten gemeinsam. Bevor es formelle Koalitionen gab, herrschte die Unsitte, Anhänger der jeweils schwächeren Partei auch mit Posten und Positionen zu versorgen. Im Ergebnis ergab das einen dicken rot-schwarzen Filz.

Der war der Nährboden für Jörg Haider und seine Freiheitlichen (FPÖ), die dieses Konsensmodell ablehnten und bekämpften. In Österreich war der rechte Populismus daher schon politisch wirksam und an der Macht, als er in anderen Ländern Europas noch gar nicht auf der Tagesordnung stand.

Weil die FPÖ stark wurde, kamen SPÖ und ÖVP aus den großen Koalitionen im Bund und in den Ländern gar nicht mehr heraus – zum eigenen Schaden. Die verpatzte Präsidentenwahl ist nur der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung: Wenn sich die Mitte immer gegen die Ränder der Gesellschaft durchsetzt, beginnen die irgendwann zu rebellieren. In Österreich trifft es vor allem die Sozialdemokraten. Sie sind bei jüngeren, formal gering gebildeten Männern kaum noch vertreten. Die Arbeiterschaft war indes einst die Kernklientel der SPÖ.

Inzwischen sind auch in Deutschland die Unterschiede zwischen den Volksparteien nur noch mühsam zu erkennen. Die beiden großen Parteien dominieren die Bundespolitik. Der Aufstieg der AfD legt jedoch nahe, dass es auf absehbare Zeit bei Koalitionen der Mitte bleibt: SPD mit CDU, Grüne mit CDU oder wie jetzt in Rheinland-Pfalz oder Sachsen-Anhalt Dreierbündnisse. Gibt es Versuche, sich aus dieser Klammer zu befreien?

Im Gegenteil. Die etablierten Parteien kuscheln sich an die Macht und versuchen gar nicht erst, ihre Integrationsfähigkeit zu verbessern. Sie suchen lieber einen Konsens mit den Gegnern von gestern wie jetzt in Baden-Württemberg. Das ist politisch verständlich, führt Grüne, Schwarze, Rote und Gelbe aber in die Gefangenschaft des unabdingbaren Konsenses. Ohne Weiteres kommen sie aus dieser Lage nicht heraus. Sie verlieren Kontur und steigen weiter ab.

Aber reden wir nicht nur über Parteien und Konstellationen. Präsidentenwahlen sind Personenwahlen, und auch hier scheinen die regierenden Parteien Österreichs gepatzt zu haben. Wer in der Defensive ist, sollte nicht auch noch schwache Kandidaten aufstellen. Noch so ein Menetekel für die deutschen Parteien.

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