Bundesparteitag der FDP Liberale wollen weg von der Ein-Thema-Partei

Berlin · Die FDP will mit weniger vollmundigen Statements, stattdessen mit mehr Realismus in den Wahlkampf ziehen. Auch eine Steuersenkung um 30 Milliarden Euro gehört aus ihrer Sicht dazu.

 Das Ziel ist klar: Die FDP will wieder mitreden in der Politik: FDP-Generalsekretärin Nicola Beer spricht beim FDP-Bundesparteitag in Berlin.

Das Ziel ist klar: Die FDP will wieder mitreden in der Politik: FDP-Generalsekretärin Nicola Beer spricht beim FDP-Bundesparteitag in Berlin.

Foto: dpa

Das ist die wichtigste Botschaft des Parteitages. Mit „wir haben uns erneuert, um Deutschland zu erneuern“ tritt Parteichef Christian Lindner nicht nur vor die begeisterten Delegierten. Es ist das Angebot an die Wähler: Schaut her, wir sind nicht mehr die alte FDP, die Ihr zu Recht abgewählt habt. Wir hängen an keinen Rockschößen mehr, finden das Zurück eines Martin Schulz zu einer Agenda 1995 genau so unattraktiv wie das Verwalten von Schröders Agenda 2010 durch Angela Merkel. Lindner achtet darauf, dass beide Seiten auch gleich viel abkriegen.

Es ist der Schlussstrich unter dem Vergehen am liberalen Selbstverständnis. Niemals solle mehr der Hinweis ausgesendet werden, FDP zu wählen, wenn man einen bestimmten Politiker einer anderen Partei als Kanzler wolle. Vizechef Wolfgang Kubicki weiß, wie er die bösen Geister vertreiben kann: „Wer will, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt, muss CDU wählen. Wer will, dass Martin Schulz Kanzler wird, muss SPD wählen.“ Wer aber eine vernünftige Politik als Alternative zur großen Koalition wolle, „der muss FDP wählen“.

73 Minuten lang füllt Lindner das mit Inhalten und Begründungen. Konsequente Digitalisierung, die Bildung in Deutschland an die Weltspitze bringen, dem Einzelnen und seinen Fähigkeiten mehr Chancen geben, den Staat vom Individuum denken, den Sozialstaat nicht als „Magnet“ verstehen. Natürlich auch die Steuern senken. Nicht um 15 Milliarden, wie von Finanzminister Wolfgang Schäuble versprochen, sondern um mindestens das Doppelte. Bei dieser Passage achtet Lindner darauf, dass die Ein-Thema-Partei-Falle von 2009 bis 2013 nicht erneut aufgeht. Es soll nur ein Thema von vielen sein.

Dazu gibt es auch Positionierungen, die früheren liberalen Reflexen widersprechen. Die Sache mit dem Doppelpass etwa. Nur noch für zwei Generationen soll er gelten – analog den Vorgaben für deutsche Auswanderer. Die können ihre Staatsbürgerschaft auch nur an ihre Kinder vererben, nicht an ihre Enkel. Dafür will die FDP mehr Doppelpässe in ihrem Einwanderungskonzept vorsehen.

Die Umfragen mit zweistelligen Werten in Schleswig-Holstein und NRW als Grundlage für die Zielgerade Richtung Bundestagswahl kommen einem Traum gleich. Das Standing des Vorsitzenden ist entsprechend. Schon kokettiert er mit dem eloquenten und reformfreudigen jungen Politiker, der auch noch gut aussehe – und fügt schmunzelnd „in Frankreich“ hinzu. Für die Welt der FDP wäre ein Erfolg von Lindners Mission „zurück in den Bundestag“ tatsächlich so etwas wie für die französischen Demokraten ein Präsident Emmanuel Macron. Der Triumph der Enddreißiger.

Systematisch bereiten sich die Liberalen auf neue Chancen zur Gestaltung der Politik vor. Individuelle Freiheit definieren sie auch schon mal als staatlichen Zwang, gerade dann, wenn Stärkere über Schwächere befinden. So kommt knapp ein Antrag durch, nach dem die Impfpflicht für alle Kinder bis 14 Jahren eingeführt werden soll. Für alle Älteren gilt die individuelle Freiheit. Pünktlich zum Parteitag finden die Demoskopen heraus, dass sich die Mehrheit der Deutschen eine Rückkehr der Liberalen in den Bundestag wünscht. Besonders viele Anhänger der Grünen seien darunter. Offenbar teilen viele die Einschätzung Lindners, dass nicht nur die „Regierung des Stillstands“ abgelöst gehört, sondern auch die Opposition.

Auch Lindner hat einen Traum, einen, der bei diesem Parteitag sogar wahr zu werden scheint. Die FDP, die einst Gralshüter des Bildungsföderalismus war, sich also dem Festhalten an der alleinigen Zuständigkeit der Länder für die Bildung verschrieben hatte, wird von Lindner seit Jahren in die andere Richtung gedrückt. So beklagt er, dass der deutsche Finanzminister Schulen in Burundi und Botswana sanieren dürfe, aber nicht in Böblingen und Bonn, weil die Verfassung die Kooperation des Bundes bei der Bildung verbiete. „Deshalb müssen wir am Kooperationsverbot etwas verändern“, ruft er und löst damit Beifall aus. Er unterbricht die Rede und stellt fest: „Ein Traum wird wahr. Ein FDP-Bundesparteitag applaudiert, wenn der Vorsitzende die Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsföderalismus fordert.“

Einen Tag später, bei den Beratungen des Wahlprogramms, geht es um diesen Traum. Mehrere Anträge wollen die Aufhebung des Kooperationsverbots einfügen. „Zentralismus allein wird uns nicht helfen“, warnt indes Generalsekretärin Nicola Beer. Delegierte erinnern an Festlegungen von 2009, die sie nicht hätten erfüllen können und raten dringend davon ab, in Sachen Kooperationsverbot eine Grundgesetzänderung ins Wahlprogramm zu schreiben, die die FDP nicht realisieren könne.

Kompliziert wird die Angelegenheit, als ein Antrag aus NRW („Wir fordern eine Aufhebung des Kooperationsverbotes“) zurückgezogen wird, um einem Antrag aus Thüringen mehr Gewicht zu geben. Dieser will das Grundgesetz so ändern, dass „aus dem Kooperationsverbot ein Kooperationsgebot wird“. Doch alle Anträge in diesem Feld werden abgelehnt.

Aus der Traum? Aus dem übriggebliebenen Programmtext ergibt sich das nicht. Denn dort ist von „gesamtgesellschaftlicher Aufgabe“ bei der Bildungsfinanzierung die Rede und davon, dass der „Bildungsföderalismus grundlegend reformiert werden“ müsse. Das umfasse, so unterstreichen FDP-Interpreten, durchaus auch die Abschaffung des Kooperationsverbotes, sei im Grunde sogar sehr viel weitergehend. Nur konkret festlegen will sich die FDP halt nicht. Sie ist in Sachen Vollmundigkeit vorsichtig geworden. Erst wieder einziehen, dann weitersehen.

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