Kommentar zu den Vorwahlen in den USA Lebenslügen

Meinung · Für die Demokraten wird aller Voraussicht nach im November zum ersten Mal ein weiblicher Kopfmensch mit riesiger Erfahrung und besten Chancen auf das höchste Staatsamt antreten. Wenn nicht noch das FBI, eine Anklage oder ein faustdicker Skandal dazwischengrätscht.

Wäre das also geklärt mit den Binnenbeziehungen zwischen den beiden großen Parteien in Amerika und ihren launischen Wählern. Bei den Demokraten ist im Prinzip alles im grünen Bereich. Hillary Clinton hat den pseudo-sozialistischen Senioren-Aufstand von Bernie Sanders wirkungsvoll abgewettert.

Bei den Republikanern hat dagegen der rote Elefant aus dem Emblem schlecht gefönte Gestalt angenommen und trampelt auf dem Weg zum Parteitag in Cleveland das gesamte demokratische Porzellan kaputt. Und nichts – sorry John Kasich, schade, liebe Delegiertenstimmenzähler – scheint Donald Trump zu stoppen. Der Milliardär geriert sich als der Kopf des Bundes der (von Washington) Heimatvertriebenen, die sich im multikulturellen Amerika nicht mehr zurechtfinden. Millionen laufen ihm wie politische Zombies hinterher. Trumpianer sind in dem unerschütterlichen Glauben gefangen, nur ein großer Zampano mit schlechten Manieren könne Amerika retten.

America goes Berlusconi? Das kann er nicht. Donald Trump ist ein Müllwagen voller Wut. Damit kann man um den Block fahren und hupen. Aber im 21. Jahrhundert kein Land regieren. Noch haben die USA vier Monate Zeit, sich das zu vergegenwärtigen. Nur wie?

Die Medien, das kriegsentscheidende Fernsehen vornweg, dürfen Donald Trump nicht länger Sende-Minuten hinterherwerfen – auch wenn die Werbe-Einnahmen astronomisch sind. Wenn die Dauerberieselung mit den volksverdummenden Ego-Shows des Unternehmers abreißt, bleibt Zeit für Information und Einordnung. Erst wenn breite Wählerschichten anschaulich und überzeugend dargelegt bekommen, dass Trump sie von A bis Z an der Nase herumführt, fallen vielleicht nicht nur seine 6,5 Millionen Twitter-Anhänger doch noch rechtzeitig vom Glauben ab.

Das setzt voraus, dass republikanische Würdenträger, die noch Restbestände von Anstand besitzen, Trump öffentlich die Gefolgschaft verweigern, seine Unlauterkeit und seine brandgefährliche Demagogie zum Generalthema machen. Republikaner wie Demokraten müssen zudem endlich mit vereinten Kräften Lebenslügen aufarbeiten und die Ursachen für den massenhaften Vertrauensentzug der Wähler freilegen, anstatt sie weiter mit Pathos zu verkleistern.

Mittelschichts-Familien überall in Amerika fürchten seit gut 20 Jahren zu Recht Verarmung und Totalverlust ihres ohnehin bescheidenen Anteils am amerikanischen Traum. Die Verlierer der Globalisierung, und als solche empfinden sich Millionen, deren Fabriken (ohne Weiterbeschäftigung, Umschulung oder Qualifizierung) nach China, Mexiko oder Vietnam exportiert wurden, sind keine Erfindung, sondern lange ignorierte Realität. Wer ihnen keine echten Angebote macht, beschleunigt die Erosion des Demokratiemodells Amerika und ebnet Trump den Weg ins Weiße Haus.

Kein Missverständnis: Hillary Clinton wäre in dieser Konstellation aus 1000 Gründen die bessere Präsidentin. Aber wer legt heute seine Hand dafür ins Feuer, dass sie auch definitiv gewählt wird?

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