US-Präsident Kritischer Rückblick auf Obamas vergangene Leistungen

WASHINGTON · Es ist sein sechster Bericht zur Lage der Nation. Und diesmal wird Barack Obama, wenn die Vorzeichen nicht trügen, so sozialdemokratisch wie nie klingen. Mehr Arbeitsplätze, weniger soziale Ungleichheit, bessere Aufstiegschancen für Schwache diese Themen sollen im Mittelpunkt der alljährlichen "State of the Union"-Rede im Kongress stehen. Bevor der amerikanische Präsident Versprechungen für die Zukunft macht - hier ein Rückblick auf seine Leistungsbilanz in der Vergangenheit.

Versprochen: Nach dem Massaker an 20 Schulkindern in Newtown im Dezember 2012 sollten die lockeren Waffengesetze landesweit drastisch verschärft werden.

Gehalten? Nichts.
Das Oberhaus des Parlaments, der Senat, kippte bereits die Idee, Waffenkäufer genaueren Überprüfungen zu unterziehen. Von einem konsequenten Verkaufsverbot für halbautomatische Schnellfeuergewehre war de facto schon ab Frühjahr 2013 keine Rede mehr. Dabei sterben jede Woche Dutzende Amerikaner durch Waffengewalt. Erst am Wochenende kamen drei Menschen bei einem Amoklauf in einem Einkaufszentrum nahe Washington um. Obama schweigt inzwischen zum Thema.

Versprochen: Unter Obamas Führung sollte die vielfach verkrustete amerikanische Gesellschaft moderner werden.

Gehalten? Einiges.
Der Präsident hat die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in den Streitkräften beendet. Er stellte sich nach anfänglichem Zögern persönlich hinter die Homo-Ehe, auch wenn hier die einzelnen Bundesstaaten das letzte Wort haben. Obama hat die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen beim Lohn gesetzlich aufgehoben. Dass er die kontrollierte Freigabe von Marihuana im Bundesstaat Colorado als positiv bezeichnet, lässt auf weitere Lockerungen in der Drogenpolitik schließen.

Versprochen: Über zwölf Millionen illegale Einwanderer, die ohne Ausweispapiere und weitgehend rechtlos in den USA leben, sollten eine neue Perspektive bekommen.

Gehalten? Wenig.
Republikaner und Demokraten sind sich in der Sache zwar einig: Illegale sind als Bauarbeiter, Apfelsinenpflücker, Pflegekräfte oder Haushaltshilfen unersetzbar. Auch die US-Wirtschaft ruft immer lauter nach einer Reform des Einwanderungsrechts. Die Aussichten, dass es sehr bald dazu kommt, sind gering. Der Kongress wird sich wegen der Halbzeitwahlen im kommenden November sehr wahrscheinlich wieder nicht auf ein neues Immigrationsgesetz verständigen. Obama gibt dem Thema keine Priorität mehr.

Versprochen: Amerika sollte die schwere Rezession von 2008/2009 schnell überwinden.

Gehalten? Viel.
Ein Konjunkturprogramm in Höhe von 840 Milliarden US-Dollar bewahrte die Wirtschaft (vor allem die Autoindustrie) unmittelbar nach Obamas Amtsantritt 2009 vor dem totalen Absturz. Trotzdem gingen Millionen von Arbeitsplätzen verloren. Eine Reform des ungerechten Steuersystems, das Reiche bevorteilt, scheiterte bislang an den Republikanern. Auch die angekündigte Domestizierung der Wall-Street-Börsianer gab es nur in Miniatur-Ausgabe. Beim Abbau der Staatsschulden tritt Obama auf der Stelle. Mittlerweile steht Amerika mit über 17 Billionen Dollar in der Kreide. Tendenz: steigend.

Versprochen: Mehr als 40 Millionen Amerikaner sollten zum ersten Mal einen Krankenversicherungsschutz bekommen.

Gehalten? Wenig.
Der "Affordable Care Act", kurz "Obamacare" genannt, ist nach ewigem Kampf im Kongress in Kraft getreten. Die Einführung war allerdings ein Ausdruck von beispiellosem Dilettantismus. Mittlerweile funktioniert das System einigermaßen. Ob allerdings die in einem ersten Schritt bis Ende März angepeilten sieben Millionen Amerikaner eine neue Versicherung haben werden, ist ungewiss. Weil systembedingt viele Bürger ihre alte Versicherung verloren haben und meist höhere Preise für eine neue bezahlen müssen, werden die Republikaner weiter erbittert gegen Obamas Gesundheitspolitik kämpfen. Bei der Reform der sozialen Sicherungs-Netzwerke (Medicare etc.) insgesamt hat Obama versagt.

Versprochen: Obama ist mit dem Versprechen angetreten, mehr Offenheit zu schaffen und - anders als sein Vorgänger Bush - die Bürger- und Menschenrechte zu pflegen.

Gehalten? Wenig.
Der Skandal um die Schnüffeleien der NSA zeigt, dass Obama den Geheimdiensten jeden Freiraum gibt, den sie verlangen. Dafür riskiert der Präsident auch die Beziehungen zu engen Verbündeten wie Deutschland. Obamas Reformideen für die "National Security Agency" werden nicht nur von Kritikern des Überwachungsapparats als Kosmetik bezeichnet. Auch das Terror-Gefangenenlager Guantanamo/Kuba ist nach über zehn Jahren noch immer nicht geschlossen. Allerdings bemüht sich Obama um die Abschiebung ungefährlicher Insassen.

Versprochen: 2009 kündigte Obama in Kairo an, das Verhältnis der USA zur islamischen Welt grundlegend zu reformieren.

Gehalten? Wenig.
Falls der geplante Atom-Deal mit dem Iran gelingt, könnte eine seit mehr als drei Jahrzehnten währende Eiszeit ihr Ende finden. Neue Hoffnung macht sich die US-Regierung auch auf einen Friedensvertrag zwischen Israel und den Palästinensern. Der Ausgang in beiden Fällen ist mehr als ungewiss. Zum "Arabischen Frühling" fand Obama nie eine klare Haltung. In vielen Ländern der Region (Ägypten, Saudi-Arabien) haben die USA drastisch an Ansehen und Einfluss verloren. Obamas Zögern beim Militärschlag gegen Assad/Syrien spielt hier eine wichtige Rolle.

Versprochen: Der mächtigste Mann der Welt wollte den "Weltpolizisten USA" in Rente schicken.

Gehalten? Viel.
Der erfolgte Abzug aus dem Irak und das anstehende Ende des jahrelangen Kampfeinsatzes in Afghanistan dokumentieren, dass Präsident Obama in Zukunft keine teuren Invasionskriege mehr führen will. Dass in beiden Fällen Destabilisierung die Konsequenz ist oder sein kann, nimmt er wohl oder übel hin. Präsident Obama setzt weiter auf die umstrittenen unbemannte Drohnen und auf sogenannte chirurgische Kommandoaktionen gegen Terror-Verdächtige weltweit. Dass bei diesem Schattenkrieg nach Erkenntnissen unabhängiger Organisationen Hunderte Zivilisten gestorben sind, gehört zu den größten Verfehlungen, die Obama vorgeworfen werden.

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