Streit in der Koalition Kritik an Merkels einsamem Führungsstil nimmt zu

BERLIN · Erst ist sie Madame No. Die Frau, gegen deren Wort in Europa nichts geht. Dann vergleicht sie der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, mit einer Zarin. Und schließlich macht sie die frühere Kohl-Beraterin Gertrud Höhler gar zur "Patin", zu einer Frau also, der gewissermaßen dunkle Machenschaften unterstellt werden.

 Im Sessel der Macht sitzt CDU-Chefin Angela Merkel. Die Bilder entstanden letzte Woche beim Besuch der Republik Moldau.

Im Sessel der Macht sitzt CDU-Chefin Angela Merkel. Die Bilder entstanden letzte Woche beim Besuch der Republik Moldau.

Foto: ap

Angela Merkel ist jetzt seit zwölf Jahren Bundesvorsitzende der CDU und seit sieben Jahren Bundeskanzlerin. Vergangene Woche kürte das Magazin "Forbes" Merkel erneut zur mächtigsten Frau der Welt - zum mittlerweile sechsten Mal seit 2006. Noch vor US-Außenministerin Hillary Clinton. Da wachsen mit der Macht auch die Attribute, mal respektvoll, mal zähneknirschend: Madame No, Zarin, Patin.

Merkel muss sich in diesen Tagen, da die Euro-Krise um Griechenland auf Entscheidungsreife gärt, viel Kritik anhören. Nicht dass es eine offene Front gegen die CDU-Chefin und ihren von Buchautorin Höhler als "autokratisch" verunglimpften Führungsstil gäbe. Dazu sind diejenigen, die gegen Merkel aufbegehren, zu wenig. Doch keine Frage, in der CDU grummelt und gärt es. In der Partei gehe es zu "wie am Zarenhof", empörte sich Mittelstandschef Schlarmann. Es gebe "keinerlei grundsätzliche Debatte mehr, weil alles in Frau Merkels CDU als alternativ angeboten wird".

Merkel, auf diese angebliche oder tatsächliche Debatten-Unkultur in der CDU unter ihrer Führung angesprochen, gab sich vor zwei Tagen im ARD-Sommerinterview erkennbar kurz angebunden. Das wäre doch "eine seltsame Volkspartei", in der es "nie Kritik" gäbe. Aber sie fände es schon "gut, wenn man dies in den Gremien" ansprechen würde, so die Chefin. Als Parteivorsitzende sei es ihre Aufgabe, Positionen so "zusammenzuführen, dass es gut ist für das Land und für die Menschen im Lande". Und selbstredend auch für die Partei. Ende der Debatte.

Merkel ist vielen in der CDU, vor allem den erklärten Konservativen, bis heute fremd geblieben. Und so nennt die Literaturwissenschaftlerin Höhler die Kanzlerin mit CDU-Parteibuch in ihrem neuen Werk auch "die Fremde aus Anderland". Parteivize Ursula von der Leyen findet eine solche Charakterisierung Merkels schlicht "empörend". Anderland, der deutsche Osten? Da müssten sich (neben Merkel) rund 20 Millionen Ostdeutsche mit ausgegrenzt fühlen. Höhler ficht das nicht an. Sie nennt Merkel in ihrem Buch unverfroren sogar "Täterin", die sich die Partei unterjoche, beispielsweise beim Ausstieg aus der Atomkraft sogar Gesetze breche und schleichend die Demokratie aushöhle.

So warten viele, nicht nur in der CDU, darauf, wann die große Grundsatzdebatte über Werte, das Konservative und den offenen Meinungspluralismus in der Partei losbricht. Eine Eruption beim CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember in Hannover will die Vorsitzende tunlichst verhindern. So sollen die Mitglieder schon vor dem Delegiertentreffen bei mehreren Regionalkonferenzen sagen können, was ihnen nicht passt und was ihrer Auffassung nach anders werden soll. Die Devise: Vor dem Parteitag möglichst viel Druck aus dem Kessel lassen. Das erste Mal lässt die promovierte Physikerin Merkel, die vielen in ihrer Partei immer mehr als Mechanikerin der Macht vorkommt, bei einer Regionalkonferenz am 8. Oktober in Düsseldorf die Basis sprechen. Die Mitglieder sollen diskutieren, schimpfen, Ärger ablassen.

Die Themen sind da. Und Merkel weiß, dass sie die CDU nicht überfordern darf. So stellte sie klar, dass Ehe und Familie, geschützt von Artikel sechs des Grundgesetzes, im Vergleich zur Homo-Ehe "doch noch etwas deutlich bessergestellt werden" müssten. Und bei der Förderung von Frauen in Spitzenjobs der Wirtschaft ist ihr eine freiwillige "Flexi-Quote" für Unternehmen, wie sie Familienministerin Kristina Schröder anstrebt, lieber, als die gesetzliche Quote, mit der Arbeitsministerin von der Leyen die DAX-Unternehmen verpflichten will, durchschnittlich 30 Prozent ihrer Spitzenjobs mit Frauen zu besetzen. Im Entwurf für den Leitantrag zum Parteitag heißt es nun: "In Zukunft muss es ein stärkeres Maß an Verbindlichkeit geben, damit 2020 im Schnitt 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate der mitbestimmungspflichtigen Unternehmen mit Frauen besetzt sind." Von einer Quote per Gesetz steht dort nichts geschrieben. Und auch die Zuschussrente für Geringverdiener, ebenfalls eine Initiative der CDU-Vize von der Leyen, wie auch das Betreuungsgeld, ein bestelltes Wahlkampfthema der Schwesterpartei CSU, birgt Diskussionsstoff.

Gestern bei der ersten Sitzung von CDU-Präsidium und Bundesvorstand nach der Sommerpause jedenfalls brach die Debatte über Merkelsche Führungskultur nicht auf. Die CDU-Granden konzentrierten sich ganz auf die Debatte über den Leitantrag zum Bundesparteitag: "Starkes Deutschland. Chancen für alle!". Außerdem hatte die CSU in Gestalt ihres Generalsekretärs Alexander Dobrindt genügend Zündstoff geliefert. Dobrindts erneute Offensive für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone stieß auch in der CDU auf wenig positive Resonanz. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte, man wolle sich an Verabredungen halten. "Das gilt auch für uns." Also bitte keine neue Verunsicherung "durch markige Sprüche".

Und die Debattenkultur in der Merkel-CDU? Gröhe sagt zur Kritik auch aus den eigenen Reihen über den Führungsstil der Parteichefin, selbstverständlich sei die CDU eine "lebendige Partei". Und: "Eine Volkspartei ist kein Geheimbund." Allerdings müssten "Führungspersonen", die mit Kritik an die Öffentlichkeit gingen, "nicht nur den Flügelsturm, sondern die Gesamtmannschaft im Blick haben".

Merkel hat ihr Machtwort in Sachen Griechenland schon gesprochen. "Jeder sollte seine Worte sehr wägen." Im Leitantrag für den Parteitag lässt die CDU-Vorsitzende weit in die Zukunft blicken. In einem Zeit, in der sie nicht mehr Bundeskanzlerin sein wird. Ins Jahr 2025. "Deutschland 2025 ist ein Land, das allen Menschen, die bei uns leben, eine gute Heimat ist. Kinder wachsen in einem Land auf, in dem Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit eine große Rolle spielen", heißt es dort. Den Euro gibt es 2025 übrigens auch noch: "Mehr als jeder zweite Euro wird 2025 in besonders forschungsintensiven Branchen verdient."

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