Inklusion Kommunen fordern Hilfe vom Land

DÜSSELDORF · Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern kostet die NRW-Kommunen nach einem neuen Gutachten bis 2020 einen dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich. Falls das Land die Gemeinden auf den Kosten der schrittweise ab 2014/15 geplanten Inklusion sitzen lassen sollte, drohen Städte und Gemeinden mit einer Klagewelle. Das NRW-Schulministerium verwies auf Ausnahmeregelungen für Kommunen, die die Voraussetzungen des inklusiven Unterrichts nicht erfüllen könnten.

 Gemeinsames Lernen: In einer Grundschule in Neuss hilft eine Schülerin ihrer behinderten Mitschülerin Nicola.

Gemeinsames Lernen: In einer Grundschule in Neuss hilft eine Schülerin ihrer behinderten Mitschülerin Nicola.

Foto: dpa

Das Gutachten im Auftrag der Kommunalen Spitzenverbände kommt zu dem Ergebnis, dass die inklusive Beschulung in allgemeinen Schulen deutlich teurer wird. Der Vorsitzende des NRW-Städtetages, Norbert Bude, warnte vor dem Scheitern der Inklusion. "Die Behauptung des Landes, der Umbau des Schulsystems sei ohne zusätzliche Mittel allein durch Umschichtungen zu bewerkstelligen, ist mit dem Gutachten deutlich widerlegt." Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ließ mitteilen, dass die Inklusion keine neue vom Land verordnete Aufgabe sei, sondern ein seit 30 Jahren laufender Prozess in den Kommunen.

Die Analyse unter Federführung der Universität Wuppertal beziffert die Investitionskosten für das Fallbeispiel Essen bis 2020 auf 18 Millionen Euro plus jährlich zwölf Millionen Euro laufende Kosten. Im Kreis Borken fallen danach drei Millionen Euro Investitionskosten sowie jährlich vier Millionen Euro laufende Kosten an. Bei einer besseren Fördervariante (25 statt 30 Schüler pro Klasse) steigen die Investitionskosten für Essen auf 40 Millionen Euro. Aus Sicht der Kommunen ist damit die "Bagatellgrenze" nach dem Konnexitäts-Ausführungsgesetz, wonach das Land erst für Mehrkosten von mindestens 4,5 Millionen Euro eintreten muss, deutlich überschritten. Die Grünen-Politikerin Sigrid Beer hielt die Rechnung für problematisch, weil etwa nicht jeder Klassenraum barrierefrei mit dem Aufzug erreicht werden können müsse. Durch die Steuerung vor Ort mit Schwerpunktschulen könnten Kosten erheblich gesenkt werden.

Der Präsident des NRW-Landkreistags, Thomas Hendele, warf der rot-grünen Koalition vor, sie wolle sich um die Mehrkosten "herummogeln." Landesweit müssten die allgemeinen Schulen 85 000 Förderschüler aufnehmen. Damit steige der Zwang zur Schaffung neuer Klassenräume. Hendele sprach sich deshalb für eine "zeitliche Streckung" der Inklusion aus. Der Präsident des NRW-Städte- und Gemeindebundes, Roland Schäfer, warnte, dass die Kommunen keine zusätzlichen Kosten schultern könnten.

Das Gutachten sieht Mehrkosten nicht allein durch die Anforderung an die Barrierefreiheit. Allgemeine Schulen benötigten auch zusätzliche Förderschulpädagogen, Integrationshelfer und Schulpsychologen sowie Lernmaterial, um die individuelle Förderung sicherzustellen. "Eltern wollen nicht, dass sich die Beschulung der bisherigen Förderschüler verschlechtert", mahnte Schäfer. Auch Lehrer seien hilflos angesichts der Aufgabe. Die Zielvorgabe der Landesregierung, bis zum Schuljahr 2016/17 eine Inklusionsquote von 65 Prozent an den allgemeinen Schulen zu erreichen, hält Präsident Hendele bei 85.000 zu inkludierenden Schülern für herausfordernd.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, hält den Gesetzentwurf der Landesregierung schlicht für unzureichend. Beckmann forderte die Landesregierung auf, die tatsächlichen Kosten nicht länger zu beschönigen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort