Kommentar zu den Brexit-Verhandlungen Kleinbritannien

Meinung · Großbritannien? Was da übrig bleiben wird, haben kluge Beobachter schon im Sommer beschrieben: Kleinbritannien, kommentiert Raimund Neuß.

Der britische Finanzminister Philip Hammond hält in London die für den Transport von offiziellen Dokumenten vorgesehene Budget Box hoch.

Der britische Finanzminister Philip Hammond hält in London die für den Transport von offiziellen Dokumenten vorgesehene Budget Box hoch.

Foto: dpa

Eisen mag hart sein, aber es lässt sich einschmelzen. Das müssen die Briten am Beispiel der ehedem als neue Eiserne Lady gefeierten Theresa May lernen. Der Dame ist es offensichtlich zu heiß geworden. Sie macht Anstalten, die Vorbedingungen der EU für ein Brexit-Abkommen zu akzeptieren: 45 bis 55 Milliarden Euro muss ihr Land wohl bezahlen, nur um hernach schlechter dazustehen als jetzt.

Über kurz oder lang wird sie auch hinnehmen müssen, dass EU-Bürger in Großbritannien ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof einklagen können. Und dass eine offene Grenze in Irland Voraussetzung für jedes denkbare Handelsabkommen ist. Als Belohnung winkt eine Übergangsregelung, deren Grundzüge Brüssel schon festgelegt hat: Großbritannien hat EU-Standards zu akzeptieren, ohne sie künftig noch beeinflussen zu können.

Großbritannien? Was da übrig bleiben wird, haben kluge Beobachter schon im Sommer beschrieben: Kleinbritannien. Ein souveränes Imperium hatten die Brexit-Propagandisten dem Stimmvolk versprochen und sich bei den Größenverhältnissen übel verschätzt. Die EU ist mit oder ohne Briten ein Machtblock, der auf Augenhöhe mit den USA und China spricht. London war in diesem Block bisher einer der größten Partner. Jetzt steht ein mittelprächtiger Drittstaat dieser immer noch achtmal so großen Union gegenüber. Kleinbritannien eben.

Großes Interesse an Integrität des Binnenmarktes

Alle Versuche, die Solidargemeinschaft der EU zu sprengen, sind gescheitert. Für jeden einzelnen der verbleibenden EU-Partner, selbst für Irland, ist die Gemeinschaft mit den übrigen 26 politisch und wirtschaftlich wichtiger als die Beziehung zu Theresa Mays bröckelndem Reich. Und bei allen Sorgen über Brexit-Schäden auch für die restliche EU überwiegt das Interesse an der Integrität des Binnenmarktes. Was ist daraus zu lernen?

Drei Punkte. Erstens: Das Bonmot vom Starken, der am mächtigsten alleine sei, wurde ja schon vom Autor Friedrich Schiller nicht ernst genommen und stimmt heute erst recht nicht. Internationaler Einfluss und wirksame Interessenvertretung wachsen aus Kooperationen. Wer sich daraus verabschiedet, wer gegenüber der EU einen Status wählt, der weniger wert ist als selbst derjenige der Türkei, dessen Stärke schmilzt so schnell wie die eiserne Rüstung der Brexit-Lady.

Zweitens: Es ist brandgefährlich, aus antieuropäischen Ressentiments innenpolitisches Kapital schlagen zu wollen. Und drittens: Solcher Populismus ist auch nicht demokratisch. Nach dem harten oder weichen Brexit wurde im Referendum gar nicht gefragt. Allenfalls ein Drittel der Briten will den harten Schnitt, aber nur dieses Drittel zählt noch. Dieser Radikalismus ist angeblich der Volkswille, der anders als in einer Demokratie üblich keine Revision zulässt. So werden eine ganze Volkswirtschaft und die fragile Verständigung in Nordirland ruiniert. Fahr dahin, Kleinbritannien.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort