Interview Klaus Kinkel: "Lehrerausbildung läuft nur nebenher"

BERLIN · Die Länder verlieren sich zu oft in "Egoismus und Kleinstaaterei", was die Bildung angeht, sagt Klaus Kinkel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung.

 Klaus Kinkel: Bildung muss zum Megathema werden.

Klaus Kinkel: Bildung muss zum Megathema werden.

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Wie bewerten Sie den Beschluss der Kultusminister, bei der Vergleichbarkeit des Abiturs unter den Ländern jetzt schneller voranzukommen?
Klaus Kinkel: Es ist immens wichtig, dass wir die Abiturprüfungen vereinheitlichen. Unverständlich ist, dass das jetzt erst geschieht und so lange dauert. Die Schwächen unseres Bildungssystems hängen doch damit zusammen, dass wir in den Ländern ganz ungleiche Bedingungen und Verhältnisse haben.

Einige Bundesländer streben an, unter sich ein Zentralabitur einzuführen, wobei NRW da noch nicht mitmacht. In Ordnung?
Kinkel: Das Vorhaben zeigt, dass der Weg notwendig ist. Ich hoffe, dass sich die anderen Länder anschließen werden. Vorerst geht es nur um einen gemeinsamen Aufgabenpool bei den Abiturprüfungen.

Die praktischen Hindernisse für ein bundesweites Zentralabitur wie die unterschiedlichen Ferientermine sehen Sie nicht?
Kinkel: Die sehe ich natürlich, darüber muss man reden. Aber ich persönlich bin für ein Zentralabitur.

Die Koalition hat sich auf die Lockerung des Kooperationsverbots verständigt, aber es betrifft nur den Wissenschaftsbereich. Müssen Bund und Länder auch wieder bei den Schulen kooperieren dürfen?
Kinkel: Was die Koalition vereinbart hat, kann nur ein erster Schritt sein. Das weiß auch die Bundesbildungsministerin. Die Hauptschwachstelle unseres Bildungssystems liegt im Schulbereich. Den dürfen wir bei einer Neuregelung nicht außen vor lassen. Nach dem Innovationsindikator, den die Telekom-Stiftung mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie erarbeitet hat, liegt die Bundesrepublik in punkto Bildung unter 26 Industrieländern auf Platz 17. Hier ist der Föderalismus in der Bildung eine gigantische Bremse.

Ministerin Annette Schavan sagt, der Bund wolle nicht nur Geldgeber sein.
Kinkel: Es gibt bei den Ländern ein verständliches psychologisches Hindernis. Da sie im Wesentlichen nur noch für die Polizei und den Kultusbereich zuständig sind, achten sie eifersüchtig darauf, dass sich dort niemand einmischt, auch nicht der Bund. Ohne die Hilfe des Bundes werden sie ihre Bildungsaufgaben aber finanziell nicht stemmen können. Aber wenn der Bund hilft, wo es zwickt, muss er auch mitentscheiden dürfen.

Also weg mit dem Föderalismus?
Kinkel: Nein, natürlich nicht. Es gibt in Deutschland an die 40.000 Schulen. Um die kann und soll sich nicht der Bund kümmern. Da sind Länder und Kommunen viel näher dran. Der Wettbewerb kann nicht schaden. Aber die Startchancen müssen gleich sein. Wie sollen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit Bayern und Baden-Württemberg mithalten? Würden sich die Länder nicht in Egoismus und Kleinstaaterei verlieren, könnten wir auch unter den derzeitigen Bedingungen effektive Bildungspartnerschaften zwischen Bund, Ländern und Kommunen haben. Ohne Kooperationsverbot liefe aber alles besser.

Ein Vorwurf an die Länder lautet, dass sie gar nicht voneinander lernen wollen. Wer kann so auf sie einwirken, dass sie über ihren Tellerrand schauen?
Kinkel: Es gibt von der Kultusministerkonferenz abwärts eine Fülle von Gremien, die sich alle bemühen, die Probleme zu lösen, aber schon die KMK selbst hat Probleme, sich zu einigen. Wir und die anderen großen Bildungsstiftungen können hier nur andocken und Modelle entwickeln, die dann unabhängig von Ländergrenzen umgesetzt werden. So hat sich die Telekom-Stiftung beispielsweise der frühen Bildung angenommen und Materialien für die tägliche Praxis entwickelt, die inzwischen bundesweit zum Einsatz kommen.

Auch über die Lehrerausbildung wird immer wieder geklagt.
Kinkel: Gerade in den so wichtigen MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik nehmen die Universitäten die Lehrerausbildung nicht ernst. Sie läuft nebenher. Das ist grundfalsch, denn ohne gute Lehrer gibt es keine gute Bildung. Seit diesem Wintersemester gibt es das Deutsche Zentrum für Lehrerbildung Mathematik, an dem sieben Universitäten mitwirken, darunter auch vier nordrhein-westfälische Hochschulen. Die Telekom Stiftung finanziert das mit fünf Millionen Euro.

Ein Beispiel für die Übernahme eines Projekts?
Kinkel: Bei unserem Stiftungsprojekt "Schule interaktiv" geht es um den Einsatz neuer Medien in den Schulen. Hessen, NRW und Sachsen haben das Projekt in ihre Lehrerfortbildung integriert. Die Länder waren von Beginn an einbezogen, so dass die Übernahme nach Ende unserer Förderung kein Problem darstellte.

Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren den Aufbau von Ganztagsschulen finanziell gemeinsam gestemmt. Aber ein durchschlagender Erfolg war das auch nicht überall.
Kinkel: Grundsätzlich war diese Kofinanzierung positiv. Die Hilfen des Bundes sind nur nicht überall gleich angenommen worden.

Wo drückt der Schuh am stärksten, wo müssen Bund und Länder schnellstens grundsätzlich voran kommen ?
Kinkel: Die bisher existierenden Bildungsstandards müssen endlich in der Breite umgesetzt werden. Das würde es Familien mit Kindern erleichtern, von einem Bundesland in ein anderes zu ziehen. Der schulische Misserfolg ist doch leider in vielen Fällen programmiert, weil die Kinder nicht so schnell mitkommen an der neuen Schule.

Wo die Länder Bildungsstandards erarbeitet haben, sind im Schnitt erst 20 Prozent umgesetzt. Und die Umsetzung gemeinsamer Bildungsstandards dauert in einem Fach bis zu fünf Jahre, wenn alle Beteiligten mitziehen und Unterstützung erhalten. Gemeinsam käme man hier sicher schneller voran. Im Übrigen: Bildung muss zum Megathema in Deutschland werden, sonst sacken wir ab.

Bildungspolitiker fordern, den Schulen mehr Autonomie zu geben. Was heißt das?
Kinkel: Die Landesministerien sollten sich zum Beispiel aus der Personalplanung heraushalten. Schulen auf dem Land können nicht aus der Stadt gelenkt werden. Man muss den Kommunen bestimmte Entscheidungen überlassen. Sie wissen am besten, wo es an Personal fehlt und welcher Bedarf hinsichtlich der Schüler und des jeweiligen Umfeldes besteht.

Auf einer Skala von eins bis zehn: Wo stehen wir im Reformprozess im Bildungsbereich?
Kinkel: Ich gebe eine sechs. Nach oben fehlt noch einiges. Aber es ist schon einiges geschehen.

Zur Person: Der Rechtsanwalt und frühere FDP-Politiker Klaus Kinkel (75) ist Vorsitzender der Deutsche Telekom Stiftung. Kinkel war viele Jahre Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Karlsruhe und leitete als Bundesminister das Justizressort (1990-1992) und das Auswärtige Amt (1992-1998). Von 1993 bis 1995 war er FDP-Chef.

Deutsche Telekom Stiftung: Die Deutsche Telekom Stiftung in Bonn ist eine der großen deutschen Unternehmensstiftungen. Ihr Ziel ist es, die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (sogenannte MINT-Fächer) zu fördern. Seit ihrer Gründung 2003 hat sie schon zahlreiche Projekte finanziert, die von der vorschulischen Bildung bis zur Vernetzung von Wissenschaft und Forschung reichen.

Die Telekom-Stiftung - ausgestattet mit einem Kapital von 150 Millionen Euro - erstellt unter anderem Unterrichtsmaterialien, engagiert sich in der Lehrerausbildung und vergibt Doktorandenstipendien. Außerdem ermöglicht sie pro Semester 1700 Jugendlichen, ein Frühstudium an einer Hochschule aufzunehmen.

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