Interview mit Norbert Lüdecke Homosexuelle Handlungen sind "immer schwer sündhaft"

BONN · Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" hat die Äußerungen von Papst Franziskus für einen offeneren Umgang der Kirche mit Homosexuellen begrüßt. Der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke dagegen meint, der Pontifex sei nicht von der katholischen Lehrmeinung abgerückt. Die Fragen stellte Ebba Hagenberg-Miliu.

Haben Sie auch zuerst gedacht, Sie hören nicht richtig, als Papst Franziskus auf dem Rückflug vom Weltjugendtag eigentlich ohne Not mehrere heiße Eisen anpackte?
Norbert Lüdecke: Nein, überhaupt nicht. So heiß sind die Dauerbrenner ja nun auch wieder nicht. Außerdem darf man sich nicht täuschen: Der neue Papst kombiniert südamerikanische Spontaneität und jesuitische Kontrolliertheit sehr gut.

Franziskus sprach sich deutlich gegen eine Ausgrenzung von Homosexuellen in der Kirche aus. Ist das nicht erstaunlich im Vergleich zu Äußerungen seines Vorgängers?
Lüdecke: Er hat gesagt, die kirchliche Lehre auch dazu sei klar, und eben danach dürften homosexuelle Menschen nicht diskriminiert werden, sondern sollten in die Gesellschaft integriert werden. Daran ist nichts neu. Das kirchliche Lehramt in Gestalt von Papst und Bischöfen verurteilt nicht die gleichgeschlechtliche Orientierung als solche.

Die Kirche lehnt homosexuelle Handlungen als immer schwer sündhaft ab und damit auch homosexuelle Partnerschaften und ihre Gleichstellung mit der Ehe. Das ist für die katholische Amtskirche keine Ausgrenzung oder Diskriminierung. Denn das kirchliche Lehramt beansprucht die Kompetenz, nach seinen Maßstäben verbindlich zu bestimmen, was Diskriminierung ist und was nicht.

Wenn Sie jetzt auch nicht auf den vorigen Papst eingehen: Heißt das, nach Papst Franziskus ist die homosexuelle Veranlagung an sich nicht sündhaft? Wie ist das kirchenrechtlich zu sehen?
Lüdecke: Das ist zunächst eine Frage der Morallehre. Insoweit sehen Sie richtig: Die Veranlagung als solche ist niemandem als Sünde vorwerfbar. Allerdings wird erwartet, dass ein so veranlagter Mensch abstinent lebt und akzeptiert, dass seine "Tendenzen" nach dem vom Lehramt ausgelegten göttlichen Schöpfungsplan "objektiv ungeordnet" sind, was "für die betroffenen Personen selbst eine Prüfung" sein könne (Kongregation für das Bildungswesen, Instruktion vom 4. Nov. 2005, Nr. 2). Die homosexuelle Handlung hat als nach verbindlicher Kirchenlehre - und nach der fragen Sie - immer schwere Sünde z. B. die kirchenrechtliche Konsequenz, dass solche Personen nicht die Kommunion empfangen dürfen.

Das Praktizieren der Homosexualität bleibt also weiter Sünde, und der Papst hat nicht nur das Praktizieren durch schwule Priester gemeint?
Lüdecke: Nein, es geht um jeden Menschen mit dieser Neigung. Lebt etwa eine Religionslehrerin in einer homosexuellen Partnerschaft, kann ihr die kirchliche Unterrichtserlaubnis entzogen werden. Dem steht nicht entgehen, dass die amtliche Lehre nicht von allen Katholiken selbstverständlich geteilt wird. Zwischen Amtskirche und Katholizismus wird kirchensoziologisch unterschieden.

Kommen wir zu einem weiteren heißen Eisen, auf das der Papst bei seiner fliegenden Pressekonferenz einging: zur Frauenordination. Warum äußert er da ein kategorisches Nein?
Lüdecke: Weil Papst Johannes Paul II. 1994 erklärt hat, bei der Doktrin über die Unmöglichkeit der Priesterweihe für Frauen handle es sich um eine endgültige, d. h. unfehlbare Lehre des Bischofskollegiums. Eine solche kann von niemandem, keinem Papst und keinem Konzil geändert werden. Manche protestieren dagegen. Das ändert an der Verbindlichkeit der Lehre aber nichts. Manche haben versucht, die Aussagen so zu interpretieren, als habe der frühere Papst es nicht so gemeint.

Lehre und Sanktionierung durch die kirchliche Autorität seither sprechen allerdings gegen solche Abschwächungen. Sicher wird man wieder Stimmen hören, die sagen, Papst Franziskus habe nur von einer geschlossenen Tür gesprochen, und die könne man ja wieder öffnen. Das sind in meinen Augen fahrlässige Relativierungsversuche. Sie führen Menschen in Hoffnungen, ohne tragfähig zu sein, also in Illusionen. Das ist nicht fair.

Und doch sagt der Papst, die Katholische Kirche sei weiblich? Die Frauen seien ihr wichtiger als Bischöfe und Priester?
Lüdecke: Das ist kein Widerspruch zum Ausschluss der Frau von der Weihe. Auch hier gilt: Dass Frauen aufgrund ihrer Weiheunfähigkeit gottgewollt niemals verbindlich in der Kirche lehren noch Gesetze erlassen können, also durch die spezifisch kirchliche Entscheidungsgewalt die Identität der Kirche mitbestimmen können, ist in kirchlicher Sicht keine Diskriminierung.

Es ist vielmehr das, was nach kirchlicher Lehre dem Wesen der Frau am besten entspricht. Man muss genau auf die kirchliche Sprache achten: Betont wird immer die Wichtigkeit, die Gleichwertigkeit der Frau, nicht ihre Gleichberechtigung. Beides ist in der Kirche anders als im menschenrechtlichen Gleichheitsverständnis nicht notwendig verbunden, sondern entkoppelt. Ungleichberechtigung und Würdegleichheit vertragen sich katholisch.

Auch zu einem dritten Thema, das gerade deutsche Katholiken interessiert, antwortete der Papst: zur Ehepastoral. Wie schätzen Sie seine Äußerungen hier ein?
Lüdecke: Soweit ich sehe, hat er den Ausschluss wiederverheirateter Geschiedener von der Kommunion bestätigt. Er sieht ein pastorales Problem, dem er sich mit den Bischöfen widmen will. Das haben seine Vorgänger auch getan. Wenn diese Bemühungen erneut nur in Richtung Eheannullierung gehen, wird es für die meisten Betroffenen nicht die gewünschte Lösung geben.

Zur Person

Norbert Lüdecke, Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, wurde 1959 in Düsseldorf geboren. Nach einem Studium der Katholischen Theologie, Germanistik und Geschichte an der Universität Bonn und der Promotion erwarb er am Kirchenrechtlichen Institut der Universität Straßburg das Lizentiat im kanonischen Recht nebst Promotion. Lüdecke war Diözesanrichter in Limburg und Mainz und Honorarprofessor für Kirchen- und Staatskirchenrecht an der Universität Frankfurt. 1998 übernahm er den Bonner Lehrstuhl. Seit 2013 ist er Prodekan für Allgemeine Angelegenheiten.

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