Brexit Keine EU-Mitgliedschaft durch die Hintertür

London · Premierministerin Theresa May schwört ihr Kabinett auf Großbritanniens neue Rolle nach einem Brexit ein.

Dass Premierministerin Theresa May ihr Kabinett auf ihren Landsitz in Chequers nahe London geladen hatte, verriet bereits viel über die Erwartungen an diese Zusammenkunft. Privat sollte es zugehen, immerhin befindet sich die Politik eigentlich noch in der Sommerpause. Und das zeigte auch schon der inoffizielle Titel, mit dem das Treffen überschrieben wurde: Brexit-Brainstorming. Die Minister waren in den vergangenen Wochen dazu angehalten, Ideen zu entwickeln und die Möglichkeiten aufzuzeigen, die der EU-Ausstieg für ihre Themengebiete bereithalten könnte. Doch bevor das Kabinett über einen Fahrplan für den EU-Austritt beriet, wiederholte May gebetsmühlenartig ihr Mantra: „Brexit heißt Brexit.“

Was das jedoch zwei Monate nach dem historischen Votum bedeutet, wurde auch gestern nicht klar. Nur so viel: Es werde keine Versuche geben, „durch die Hintertür in der EU zu bleiben.“ Zudem schloss die konservative Regierungschefin ein erneutes Referendum aus. Diese Option wurde insbesondere von enttäuschten Europabefürwortern und pro-europäischen Unternehmern immer wieder ins Spiel gebracht. Vorgezogene Parlamentswahlen stünden ebenfalls nicht auf der Agenda, bekräftigte ein Sprecher der Downing Street.

May lehnt es ab, das Parlament über den EU-Austritt abstimmen zu lassen. Dieses gehört mehrheitlich dem Lager der Europafreunde an und könnte nun den Willen des Volkes ignorieren. Theoretisch. Denn praktisch hat die Regierung der Bevölkerung versprochen, das Referendumsergebnis umzusetzen. Es sei eine „Zeit der Möglichkeiten“ für das Vereinigte Königreich, sagte May vor ihrem Kabinett. Sie schwor ihr Team auf Großbritanniens „neue positive Rolle in der Welt“ ein.

Welche Schritte in den kommenden Wochen eingeleitet werden sollten, darüber sind sich die Tories alles andere als einig. Keiner weiß, welche Konsequenzen ein Brexit wirklich hat. Keiner weiß, wie Handelsdeals aussehen werden. Auch über den Zeitpunkt, wann die Regierung den offiziellen Austrittsantrag nach Artikel 50 des Lissabonner Vertrags stellen will, gibt es noch keine konkreten Angaben. Nicht vor Anfang nächsten Jahres, heißt es immer wieder aus Whitehall. May selbst stand wie ihr zurückgetretener Vorgänger David Cameron auf der Seite der EU-Befürworter, hielt sich aus der Kampagne vor dem Volksentscheid jedoch heraus. Die heikelste Frage dreht sich jetzt darum, wie Großbritannien weiterhin den bestmöglichen Zugang zum europäischen Binnenmarkt bewahren und gleichzeitig die Personenfreizügigkeit einschränken kann.

Bestimmende Themen im Vorfeld des Referendums waren Einwanderung und Kontrolle über die Grenzen. Hier gehen die Meinungen der Tories weit auseinander. Während viele Konservative ihren Fokus auf die Beschränkung der Migration legen, pocht Schatzkanzler Philip Hammond darauf, so viel Zugang zum EU-Binnenmarkt zu bekommen wie nur machbar und würde dafür auch Kompromisse bei der Freizügigkeit eingehen. So hat er vorgeschlagen, London durch einen Deal zu ermöglichen, Mitglied im Binnenmarkt zu bleiben.

Hier ein Gleichgewicht zu finden, das Westminster wie auch die in der Europafrage gespaltene Bevölkerung befriedigt, wird die größte Herausforderung in den nächsten Jahren darstellen. In den Medien ist die Rede von einer tief zerstrittenen konservativen Partei. Schon innerhalb der höchsten Brexiteers-Riege – Außenminister Boris Johnson, Handelsminister Liam Fox und Brexit–Minister David Davis – gibt es unterschiedliche Auffassungen. Geht nun die britische „Rosinenpickerei“ von vorne los? Wenn es nach den meisten europäischen Regierungschefs, darunter Angela Merkel, geht, lautet die Antwort Nein. Sie betonen immer wieder, dass Personenfreizügigkeit und Zugang zum Binnenmarkt untrennbar verbunden seien. Wie die Briten dieses Dilemma lösen? Dafür wird es noch etliche Brainstorming–Treffen brauchen.

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