Jamaika-Verhandlungen in Berlin Kanzlerin Merkel macht sich unsichtbar

Berlin · Angela Merkel ist die Hauptperson bei den Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und Grünen. Doch die Kanzlerin äußert sich öffentlich nur spärlich über den Fortschritt der Verhandlungen und ob sie das Bündnis überhaupt will.

 Die Schattenfrau: Die Bundeskanzlerin weicht Mikrofonen und Kameras immer wieder aus, wenn Journalisten nach dem Stand bei den Jamaika-Verhandlungen fragen.

Die Schattenfrau: Die Bundeskanzlerin weicht Mikrofonen und Kameras immer wieder aus, wenn Journalisten nach dem Stand bei den Jamaika-Verhandlungen fragen.

Foto: AFP

Da versucht sich die ungewöhnlichste Koalition aller Zeiten zu bilden, und von wem hört man öffentlich nur dürre Sätze? Man kennt die Antwort. Regierungs- und CDU-Chefin Angela Merkel bringt zurzeit wieder manchen Kritiker gegen sich auf, weil sie wie abgetaucht scheint, kaum etwas erklärt und noch weniger klarmacht, wo sie eigentlich hin will mit diesem sperrigen Regierungsbündnis namens Jamaika. Allerdings hat sie nie anders verhandelt als jetzt. Es wird wohl Geheimnis und Makel ihres Erfolgs zugleich bleiben, sich eben nicht zu erklären.

Das Land wirkt seit dem 24. September wie auf Autopilot geschaltet. Seit der Bundestagswahl stehen im Terminkalender der Bundeskanzlerin weniger Termine als sonst, viele von ihnen sind unpolitisch. Beim Treffen des Europäischen Rats bittet sie die anderen Europäer um Respekt vor der Regierungsbildung. Heißt: In nächster Zeit sind erst mal keine Entscheidungen aus Deutschland zu erwarten.

Seit Ende Oktober ist Merkel wie die Mitglieder ihres Kabinetts nur noch geschäftsführend im Amt. Sie kann also als Bundeskanzlerin keine wegweisenden Reden halten, ohne dass das komisch aussehen würde. Auch für die Jamaika-Verhandlungen wären allzu offene Erklärungen als Regierungschefin in aller Welt wohl hinderlich. Es würde ihr als Vorfestlegung dessen ausgelegt, was gerade hinter verschlossenen Türen mühsam verhandelt wird.

Alles Taktik?

Aber Merkel lässt die Öffentlichkeit auch als CDU-Chefin und führende Jamaika-Unterhändlerin im Unklaren darüber, ob sie das Bündnis will und wofür es neben dem Effekt, dass sie damit Bundeskanzlerin bleiben könnte, noch gut sein könnte. Dass sie öffentlich für Jamaika wirbt, kann wahrlich niemand behaupten. Alles Taktik?

Seit dem Beginn der Sondierungsgespräche vor bald einem Monat hat man Merkel beständig an Mikrofonen und Kameras vorbeilaufen sehen. Was manch Unterhändler zum Besten gab, war auch nicht von inhaltlicher Tiefenschärfe geprägt, aber einen Eindruck konnte man doch gewinnen. Merkel hat sich seit Beginn der Verhandlungen sehr spärlich geäußert. Nach den ersten zwei Wochen Sondierungsgesprächen sagte sie, die Beratungen seien schwierig. Aber: „Ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen.“ Ein typischer Merkel-Satz.

Jeder Partner sollte außerdem seine Identität zur Geltung bringen können, damit daraus etwas Gutes für das Land entstehe. „Die CDU ist jedenfalls dazu bereit“, ergänzte sie. Einige Tage später dringt aus einer CDU-Runde nach außen, die Kanzlerin heiße das ständige Gerede über mögliche Neuwahlen durch die FDP für unklug. Alle Partner hätten die staatspolitische Verantwortung, eine stabile Regierung zusammen zu bringen. Via Facebook lässt sie die Öffentlichkeit noch wissen, dass schon in den Sondierungen „Knackpunkte“ herausgearbeitet werden sollen und dass sie bis zum 16. November fertig sein wollen „mit allem“. Das war's von Merkel zu Jamaika.

Merkel bleibt sich treu

Inhaltlich hat man von ihr seit der Vorstellung des Unionskompromisses zu Flüchtlingen mit CSU-Chef Horst Seehofer nichts gehört. Während Kommentatoren zetern, die ständige Moderation unter Verheimlichung der eigenen Position sei keine Option, bleibt sich Merkel eigentlich treu. Ihre Verhandlungsstrategie hat sich in zwölf Jahren als Regierungschefin bewährt: Erst die anderen streiten lassen, zuhören, sehen, welcher Kompromiss möglich ist, andere ihre eigene Position vortragen lassen – und am Ende mehr Durchhaltevermögen beweisen. Begeisterung für Jamaika entfacht sie so nicht, angesichts der Gegensätze der Partner wird aber wohl ohnehin kaum welche aufkommen.

Mitverhandler sprechen unterdessen mit Respekt von Merkel, schätzen ihre Moderation der Runden. Bei manchem Thema habe sie durchaus Unionspositionen erkennbar vertreten. Wenn es zum Konflikt kommt, berät Merkel allerdings lieber in kleiner Runde. Die Themen Klimapolitik und Flüchtlinge hat die Kanzlerin genervt von der Tagesordnung genommen, nachdem die möglichen Koalitionäre über Stunden so stur wie stoisch lediglich ihre Wahlprogramme vortrugen. Auch bei der Bildung der großen Koalition 2013 wurden die schwierigen Herzensthemen Maut (CSU) und Mindestlohn (SPD) in kleiner Runde zwischen den Parteichefs und wenigen Fachpolitikern ausgemacht. Damals dauerte es von der Wahl bis zur Kanzlerwahl 86 Tage. Es ist davon auszugehen, dass Jamaika länger braucht. Und Merkel weiter auf Tauchstation bleibt.

In einem selten offenen Moment gab sie einer Journalistin Anfang der 90er Jahre einmal preis: „Manche Leute blähen sich innerlich richtig auf und versuchen, sich gegenseitig zu übertönen.“ Das sei nicht ihre Methode. „Ich bin ein Mensch, der sich langsam vortastet, wenn er einen neuen Lebensraum erobert. Dann kommen meine Entscheidungen ganz plötzlich und für viele überraschend.“

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