Niederlage für Minister Stamp Justiz-Eklat um Sami A. belastet die Landesregierung

Bochum/Düsseldorf · Mit seiner juristisch gescheiterten Abschiebepraxis zwingt Integrationsminister Joachim Stamp seine Kabinettskollegen in einen Loyalitätskonflikt. Für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist die Angelegenheit der nächste Störfall in seiner Regierung.

Für den erfolgsverwöhnten Vizeministerpräsidenten Joachim Stamp (48, FDP) ist das Gerichtsurteil die schwerste Niederlage seiner politischen Karriere. Indem er Sami A. an der Justiz vorbei abschob, ging er ein außerordentlich hohes Risiko ein.

Nun steht er vor einem Desaster. Für „offensichtlich rechtswidrig“ hält das Oberverwaltungsgericht die Abschiebung, für die Stamp – immerhin – „die persönliche Verantwortung“ übernimmt. Damit ist der Flüchtlingsminsiter nicht nur persönlich beschädigt. Er hat auch das Kabinett in einen Loyalitätskonflikt getrieben, der zur Belastung für die gesamte Landesregierung wird.

Ministerpräsident Armin Laschet und NRW-Innenminister Herbert Reul (beide CDU) haben sich so demonstrativ hinter Stamp und sein Vorgehen gestellt, dass der Richterspruch auch sie in Bedrängnis bringt. Die Landesregierung habe nach Recht und Gesetz entschieden, befand der Ministerpräsident noch vor wenigen Wochen, „und ich denke, im Ergebnis können wir froh sein, dass der Gefährder nicht mehr in Deutschland ist“. Die Richter haben nun aber deutlich gemacht, dass es in einem Rechtsstaat eben nicht nur um das Ergebnis geht, sondern auch darum, auf welchem Weg es zustande kommt.

Juristenverbände reagieren empört

Noch weiter aus dem Fenster lehnte sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). In seinem verzweifelten Versuch, Stamp den Rücken zu stärken, griff Reul das OVG sogar direkt an. Der Beschluss stehe angeblich im Widerspruch zum Rechtsempfinden der Bevölkerung. Mehrere Juristenverbände reagierten gestern empört. Oppositionsführer Thomas Kutschaty (SPD) warf dem NRW-Innenminister ein „gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaat“ vor.

Am deutlichsten wird die Verlegenheit, in die Stamp sein Kabinett gebracht hat, durch das Schweigen von NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU). Obwohl große Teile der NRW-Richterschaft nach der Richter-Schelte von Reul von ihrem Justizminister jetzt deutliche Worte zur Unabhängigkeit der Gerichte erwarten, sagte der im Ausland urlaubende Biesenbach gestern lediglich: „Schnelle Sätze aus dem Urlaub helfen jetzt nicht weiter. “

Wie kommt das alles bei der mitregierenden FDP an? Einer Partei, die sich immer auch als Hüterin der Bürgerrechte verstand? Im Kampf dafür haben liberale Köpfe wie Gerhart Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon Ämter geopfert. Baum sagte gestern: „Das ist eine abenteuerliche Äußerung von Reul. Richter müssen nach Recht und Gesetz urteilen und nicht nach einem vermeintlichen Volkswillen.“

Vierter größerer Störfall in der Regierung Laschet

Für Laschets Regierung ist der Fall Stamp inklusive der aufflammenden Rücktrittsforderungen schon der vierte größere Störfall binnen einer erst 13-monatigen Amtszeit. Kurz nach Amtsantritt musste Minister Stephan Holthoff-Pförtner die Zuständigkeit für das Medienressort abgeben, als Vorwürfe wegen eines Interessenkonfliktes gegen den Zeitungsverleger laut wurden.

Seine frühere Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking (CDU) trat im Mai nach einer hausgemachten Affäre um einen vermeintlichen Hacker-Angriff zurück. Laschet selbst und sein Regierungssprecher werden sich in Kürze vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verantworten müssen, weil die Landesregierung in diesem Zusammenhang öffentlich falsch berichtet haben soll.

Eigentlich ist Stamp kein politischer Hasardeur. Warum ging er bei Sami A. ein solches Risiko ein? Ironischerweise wurde er offenbar auch Opfer seiner eigenen Integrität. Denn anders als andere Kabinettskollegen will Stamp auch im Ministeramt seinen Forderungen aus Oppositionszeiten treu bleiben. Damals geißelte er Ex-NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) unerbittlich (SPD) dafür, im Fall des späteren Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri eben nicht alles rechtlich Mögliche für dessen rechtzeitige Abschiebung unternommen zu haben. Stamp warf Jäger mit einer juristisch ausgefeilten Argumentation ein „Versagen des Rechtsstaates“ vor.

Opfer seines eigenen Ehrgeizes

Er war auch einer der Ersten, der – schon lange vor der Kölner Silvesternacht – ein härteres Vorgehen gegen problematische Flüchtlingsgruppen forderte. Das war damals mutig. Denn was heute Allgemeinplatz ist, galt damals noch als politisch unkorrekt. Bei der Aufarbeitung der Kölner Silvesternacht sagte Stamp einmal: „Ich habe bereits im Oktober 2014 vorgeschlagen, auch repressiv gegen die Problemgruppe allein reisender Männer aus Nordafrika vorzugehen. Bei konsequenter Strafverfolgung wären Inhaftierungen und Abschiebungen möglich gewesen.“

Jetzt, als Flüchtlingsminister, will er zeigen, dass es anders geht. Den Vorwurf, die Möglichkeiten des Rechtsstaates im Kampf gegen Gefährder selbst nicht zu nutzen, will er um jeden Preis vermeiden. Gewissermaßen wird Stamp gerade Opfer seines eigenen Ehrgeizes.

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