Junge Deutsche aus unteren Schichten sehen kaum Aufstiegschancen

Berlin · Mehr als die Hälfte der aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen unter 30 Jahren glaubt nicht, dass in Deutschland ein Aufstieg in eine höhere soziale Schicht möglich ist. Einer neuen Studie zur Chancengerechtigkeit zufolge ist mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung überzeugt davon, dass Leistung sich nicht lohnt und allein das Elternhaus zählt.

 Was aus der Sicht vieler Deutschen zählt, ist allein das Elternhaus. Foto: Julia Schweizer/Archiv

Was aus der Sicht vieler Deutschen zählt, ist allein das Elternhaus. Foto: Julia Schweizer/Archiv

Foto: DPA

Unterdessen wandern immer mehr Akademiker aus dem Ausland nach Deutschland ein, so die Erkenntnis von Arbeitsmarktforschern.

Der Glaube, sich durch Leistung verbessern zu können, sei aber eine Grundvoraussetzung dafür, sich verstärkt zu engagieren, sagte die Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, Renate Köcher, am Montag in Berlin bei der Präsentation der Studie. Besonders pessimistisch sind danach die Ostdeutschen.

Ganz anders schätzen etwa die Schweden ihre Chancen ein. Laut der ländervergleichenden Studie im Auftrag der Zeitschrift "Bild der Frau" sind dort unabhängig von der sozialen Schicht zwei von drei jungen Erwachsenen überzeugt davon, dass jeder alles werden kann. Hierzulande werde die Verantwortung für die Bildung der Kinder stark den Eltern übertragen. In Schweden zeigen sich die Eltern laut Umfrage deutlich entspannter und delegieren Bildungsaufgaben eher an den Staat.

Weil deutsche Eltern sich eher verpflichtet fühlen, spielen ihre eigenen Voraussetzungen der Studie zufolge eine größere Rolle als in Schweden. Der enge Zusammenhang zwischen Bildungshintergrund der Eltern und dem Bildungsweg der Kinder präge auch die Vorstellung der Deutschen sehr stark, ob man es in dieser Gesellschaft mit Leistung zu etwas bringen könne, sagte Köcher. Soziale Unterschiede seien normal. "Die entscheidende Frage ist, ob eine Gesellschaft auch Auf- und Abstiege ermöglicht", betonte die Meinungsforscherin.

Bereits das dreigliedrige deutsche Schulsystem sei sehr starr und nicht durchlässig, ergänzte dazu die Bildungssoziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger. Sie kritisierte, dass die Herkunft von Schülern bei der Beurteilung ihrer Chancen oft eine zu große Rolle spiele.

In der Umfrage "Chancengerechtigkeit durch Förderung von Kindern - ein deutsch-schwedischer Vergleich" wurde auch untersucht, wie sich die Meinungen von Ost- und Westdeutschen unterscheiden und welche Wünsche türkischstämmige Eltern für ihre Kinder haben. Das Ergebnis zeigt, dass Ostdeutsche die Aufstiegsmöglichkeiten in eine höhere Schicht pessimistischer einschätzen als Westdeutsche. So ist etwa die Hälfte der Westdeutschen (47 Prozent) der Meinung, dass man es mit genügend Anstrengung zu etwas bringen kann. Das denken nur 35 Prozent der Ostdeutschen.

Türkischstämmige Eltern von Kindern unter zwölf Jahren äußerten deutlich häufiger den Wunsch, dass ihr Nachwuchs sozial aufsteigt als die befragten Eltern insgesamt (70 zu 42 Prozent). Die türkischstämmigen Eltern helfen ihren Kindern zwar häufiger bei Hausaufgaben, schätzen ihre eigenen Voraussetzungen dafür aber deutlich schlechter ein als Eltern insgesamt, wie die Studie zeigt. Ein Grund seien die oft unzureichenden Sprachkenntnisse, sagte Köcher.

Das Allensbach Institut für Demoskopie befragte in der repräsentativen Studie Menschen in Schweden und Deutschland zu Betreuung, Förderung und Erziehung von Kindern. In Deutschland wurden rund 1800 Menschen, in Schweden rund 1000 Menschen befragt.

In Deutschland haben nach Erkenntnissen von Arbeitsmarktforschern immer mehr Zuwanderer einen Hochschulabschluss. Seien im Jahr 2005 lediglich 30 Prozent der Neuzuwanderer Akademiker gewesen, waren es fünf Jahre später bereits 44 Prozent, geht aus einer Montag veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Auch sonst seien die erst in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommenen Ausländer besser qualifiziert als frühere Migrantengenerationen, berichten die Autoren der Studie Holger Seibert und Rüdiger Wapler. Neuzuwanderer mit Berufsabschlüssen oder einer akademischen Ausbildung fänden meist rasch eine Arbeit in Deutschland.

Als wichtigen Grund für den wachsenden Anteil qualifizierter Migranten sehen die beiden Arbeitsmarktforscher das im Jahr 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz. Dies setze darauf, qualifizierten Ausländern die Zuwanderung nach Deutschland zu erleichtern. Damit solle der in Zukunft erwartete Fachkräftemangel abgemildert werden. Zudem hätten sich bei den Herkunftsländern der Migranten die Gewichte verschoben: Statt Türken mit oftmals geringer Ausbildung suchten immer mehr gut ausgebildete Männer und Frauen aus den EU-Ländern eine neue berufliche Perspektive in Deutschland. Im Jahr 2009 habe der Anteil nach Deutschland zugewanderter Türken nur noch bei drei Prozent gelegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort