Interview mit Antonio Casellas Bonner Katalane: „Rajoy und Puigdemont müssen abdanken“

Bonn · Antonio Casellas ist Berater beim Bonner Metallverarbeitungskonzern GKN Sinter Metals. Seine Eltern flohen 1951 aus Katalonien vor der Diktatur Francos nach Deutschland. Die aktuellen Entwicklungen in Katalonien betrachtet Casellas mit Sorge.

 Demonstranten, die für die Unabhängigkeit Kataloniens sind, beobachten in Barcelona die Rede des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont.

Demonstranten, die für die Unabhängigkeit Kataloniens sind, beobachten in Barcelona die Rede des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont.

Foto: dpa

Wie erleben Sie die aktuelle Lage in Katalonien?

Antonio Casellas: Für mich ist das alles schwer zu ertragen. Ich habe am Wahlsonntag vor dem Fernseher gesessen und musste mit ansehen, wie Mütter und Väter mit ihren Kindern von Polizisten mit Knüppeln geschlagen worden sind, obwohl sie friedlich über ihre Autonomie abstimmen wollten. Meine Frau war an diesem Tag zum Wählen in Pau, einem katalanischen Dorf, wo wir ein Haus haben und wo meine Eltern bestattet sind. Dort war alles ruhig, aber in Städten wie Barcelona und Girona gab es schreckliche Szenen.

Wer ist dafür verantwortlich?

Casellas: Ich halte die Katalanen für friedlich und demokratisch. Alle bisherigen Proteste liefen ohne Gewalt ab. Auf der anderen Seite gibt es seit 2010 eine besorgniserregende Entwicklung – angetrieben von Ministerpräsident Mariano Rajoy und seiner Partido Popular. In den Schulen Kataloniens wird die katalanische Sprache eingeschränkt. Finanziell wird das Land gemolken. Die Arbeitslosenquote unter den jungen Menschen steigt, viele wandern ins Ausland ab. Das alles sorgt dafür, dass separatistische Kräfte in Katalonien stärker werden.

Was wäre die beste Lösung für Katalonien?

Casellas: Ich war immer für einen Dialog. Deshalb halte ich das bisherige Verhalten von Premier Carles Puigdemont für klug. Wenn er die Unabhängigkeit erklärt hätte, wäre sofort das spanische Militär in Barcelona einmarschiert. Ich hoffe immer noch darauf, dass sich die Europäische Union als Vermittler einschaltet und zumindest die Moderation übernimmt. Ich glaube allerdings, dass Rajoy nicht von seinem Kurs der Unterdrückung Kataloniens abweichen wird. Mittlerweile gehöre ich sogar zu jenen, die eine Republik Katalonien als letzte Möglichkeit betrachten, um das zu beenden.

Warum glauben Sie denn, dass Rajoy nicht einlenken wird?

Casellas: In seiner Partei gibt es viele Menschen, die sehr nationalistisch denken. Eine Abspaltung würden sie niemals zulassen. Bei einer Kundgebung gegen die Unabhängigkeit Kataloniens in Barcelona wurde vor Kurzem von einigen Demonstranten das faschistische „Arriba, Espana!“ ausgerufen wie damals zur Zeit von Diktator Francisco Franco. Das waren keine Katalanen. Diese Menschen wurden ganz bewusst nach Barcelona gekarrt, um Stimmung zu machen.

Wie kann die prekäre Situation Kataloniens noch gerettet werden?

Casellas: Es geht nur mit Neuwahlen. Rajoy und Puigdemont müssen abdanken. Wir brauchen andere Akteure, die ohne Vorbelastung in einen Dialog treten können. Beide bisherigen Regierungschefs haben sich in eine Lage manövriert, wo das nicht mehr möglich ist. Rajoy glaubt bis heute, dass er den Willen der Katalanen brechen kann – notfalls mit Gewalt. Das wird er jedoch nicht schaffen. Mein Vetter in Pau ruft über Facebook immer wieder dazu auf, ein heißes Herz und einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn Rajoy tatsächlich militärisch in Katalonien einmarschieren sollte, werden sich die EU und andere einschalten. Dann würde er verlieren. Für uns heißt es jetzt, Ruhe zu bewahren – ähnlich wie beim Stierkampf, der in Katalonien im Jahr 2010 übrigens verboten wurde, bevor die Regierung in Madrid dieses Gesetz sechs Jahre später für ungültig erklärt hat.

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