Abstimmung über die "Ehe für alle"? In der Union schlagen die Wogen hoch

Berlin · Unionspolitiker Volker Kauder wirft der SPD bei der Diskussion über die „Ehe für alle“ einen Vertrauensbruch vor.

Die letzte Sitzungswoche des Bundestags in dieser Wahlperiode nimmt eine überraschende Wendung: Voraussichtlich wird das Parlament noch an diesem Freitag über die völlige Gleichstellung der Verbindung Homosexueller sowie von Mann und Frau abstimmen. Für die Abstimmung soll der Fraktionszwang aufgehoben werden. Da SPD, Grüne, Linke und Teile der Union für die sogenannte „Ehe für alle“ sind, gilt es als sicher, dass die Entscheidung eine erneute Reform der Homo-Ehe in Gang setzen wird.

Das Thema entfaltete gestern eine enorme Dynamik, nachdem Merkel bei einer Talkrunde der Zeitschrift „Brigitte“ angekündigt hatte, dass sie die Frage der „Ehe für alle“ als Gewissensentscheidung sieht. Bei solchen Entscheidungen wird für Abstimmungen im Bundestag der Fraktionszwang aufgehoben.

Die SPD sah die Meldung, die am Montagabend verbreitet wurde, als Chance, das Thema noch in dieser Wahlperiode durchzusetzen. „Jetzt haben wir eine Gelegenheit und eine Chance bekommen durch den Wahlkampfvorstoß von Frau Merkel – der vielleicht etwas verfrüht war“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.

Merkel wollte das Thema eigentlich erst in der kommenden Wahlperiode aufrufen. Den Kursschwenk vollzog sie, nachdem nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Liberalen die „Ehe für alle“ zur Voraussetzung für eine neue Koalition erklärt hatten. Damit stand die Union unter Druck, ihre Position zu verändern. Andernfalls hätte sie im Falle eines Wahlsiegs nach dem 24. September keinen Koalitionspartner mehr gehabt.

Die Sozialdemokraten wollen das Thema nun am Freitag im Bundestag abstimmen lassen. Als Vorlage wird ein Gesetzentwurf dienen, der bereits über den Bundesrat eingebracht wurde. Die Unionsfraktion will sich allerdings nicht an dem Antrag beteiligen. Unionsfraktionschef Volker Kauder wirft der SPD „Vertrauensbruch“ vor, dass sie die Abstimmung gegen den Koalitionspartner durchsetzt.

Im Fraktionsvorstand vor der Fraktionssitzung der Union gestern Nachmittag schlugen die Wogen nach Teilnehmerangaben hoch. Einige Abgeordnete verlangten, dass Merkel wegen des Vorgehens der SPD die Minister der Regierung entlassen müsse. Kauder, der auch ein klarer Gegner der „Ehe für alle“ ist, argumentierte gegen den Koalitionsbruch. Man müsse mit dem Thema in den Wahlkampf ziehen, für das man die Koalition habe platzen lassen, sagte Kauder. Zudem würde man nach der Wahl dann ohne Koalitionspartner dastehen.

Eine Reihe von Unionsabgeordneten wird für die „Ehe für alle“ stimmen. In der Fraktionssitzung gestern zeichnete sich allerdings eine Mehrheit dagegen ab. Zur Empörung über das Vorgehen der SPD sagte Merkel: „Geht halt jetzt nicht anders.“ Während niemand in der Fraktionssitzung die Kanzlerin öffentlich kritisierte, gab es hinter vorgehaltener Hand durchaus Unmut, dass Merkel die Entscheidung durch ihre Talk-Äußerung herbeigeführt hat.

Die Union hatte ursprünglich vor, die Idee, die Entscheidung über die „Ehe für alle“ zu einer Gewissensfrage zu erheben, erst mit ihrem Wahlprogramm am Montag vorzustellen. Mit Seehofer ist dieser Weg aber bereits abgestimmt.

In der CSU sind viele empört. „Ich will das Thema überhaupt nicht im Bundestag haben“, sagte der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer unserer Redaktion. Er warnte: „Deutschland hat ganz andere Probleme. Aber die CDU-Führung soll sich davor hüten, auch noch die letzten konservativen Werte zu zerstören.“

Noch offen ist die Frage, ob es für die Öffnung der gesetzlichen Ehe für Homosexuelle einer Grundgesetzänderung bedarf. Während Justizminister Heiko Maas (SPD) der Ansicht ist, das dies nicht notwendig ist, sagte Innenstaatssekretär Günter Krings: „Das Innen- und Justizministerium haben immer die Meinung vertreten, die Ehe für alle geht nicht ohne eine Verfassungsänderung.“ Es spreche daher einiges dafür, „dass die vorgeschlagene Gesetzesänderung das Ehegrundrecht verletzt“, warnte Krings. Er persönlich werde gegen die „Ehe für alle“ stimmen. „Es gibt keine Diskriminierung von eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber Ehen mehr, denn die Rechtsfolgen sind gleich“, sagte Krings.

Das Thema „Ehe für alle“ schwelt schon seit Beginn der Wahlperiode zwischen Union und SPD. Die Opposition hatte mehrfach versucht mit einer Abstimmung einen Keil in die Koalition zu treiben. Allein im Rechtsausschuss des Bundestags wurde das Thema 30 Mal vertagt.

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