Krieg in Syrien In Ost-Aleppo regiert das Grauen

Genf/Kairo · Assads Truppen ziehen die Schlinge um die einstige Rebellenhochburg zu. Die Vereinten Nationen prangern schwere Verbrechen an.

Willkürliche Verhaftungen, Folter, Massaker: Immer mehr Berichte von schweren Verbrechen dringen aus dem Rest des umkämpften Ost-Aleppo zu den Vereinten Nationen durch. Die Meldungen seien alarmierend, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon laut einer am Dienstag in Genf veröffentlichten Mitteilung. Der Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe, Jens Laerke, sprach von einem „kompletten Zusammenbruch der Menschlichkeit“.

Die meisten Gräueltaten werden Truppen zur Last gelegt, die für das Regime von Machthaber Baschar al-Assad die einstige Rebellenhochburg Ost-Aleppo seit November fast komplett erobert haben. Die Gräuelberichte seien „glaubwürdig“, sie könnten jedoch nicht unabhängig überprüft werden – das unterstreichen die UN-Funktionäre.

Pro-Assad-Einheiten hätten laut den Informationen mindestens 82 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, nach ihrem Auffinden umgebracht. Das teilte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, mit. Die Regimetruppen durchkämmen demnach die Wohnhäuser in den eroberten Gebieten und töten die Menschen, die sie vorfinden. Oppositionellen drohen Festnahme, Folter und Tötung.

Tausende Zivilisten harren den Angaben nach noch immer in dem Kampfgebiet aus. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz betonte mit Blick auf die Männer, Frauen und Kinder: „Sie können nirgendwohin fliehen. Die Zeit läuft uns davon.“ Und das UN-Kinderhilfswerk Unicef zitiert einen Arzt in Ost-Aleppo, der berichtet, dass eine Gruppe von bis zu hundert unbegleiteten Minderjährigen in einem Gebäude Schutz gesucht habe, das nun unter schwerem Beschuss stehe.

UN-Generalsekretär Ban beauftragte seinen Sondergesandten für das Bürgerkriegsland Syrien, Staffan de Mistura, die Konfliktparteien zu kontaktieren und auf eine strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu pochen.

Den UN-Informationen zufolge wurden zudem zahlreiche Zivilisten inhaftiert. Angesichts der Situation rief der UN-Nothilfekoordinator für Syrien, Jan Egeland, Russland und die syrische Führung dazu auf, eine Feuerpause in der umkämpften Stadt Aleppo zuzulassen. Dann könnten Verletzte und andere gefährdete Gruppen aus den Trümmern der Metropole geholt werden, schrieb Egeland auf Twitter. Moskau und Damaskus seien rechenschaftspflichtig für alle Gräueltaten, die Regierungstruppen und verbündete Milizen derzeit in Aleppo verübten.

Aus den in den Sozialen Medien verbreiteten Abschiedsbotschaften von Zivilisten aus Ost-Aleppo, klingt die totale Verzweiflung. „Wir werden hier in Aleppo abgeschlachtet. Wir sind hungrig. Unsere Kinder werden abgeschlachtet. Wir haben nichts mehr. Wo seid ihr, fürchtet ihr nicht Gott?“, fleht ein alter Mann, der in der Mitte einer Straße steht, deren Gebäude zusammengebombt sind. „Rettet uns. Oh Gott, alle, die uns hören können, alle, die antworten können. Alle, die Gott geschaffen hat. Möget ihr in Frieden leben.“ Es ist ein Video, das seit der Nacht auf Dienstag überall in den arabischen Sozialen Medien kursiert.

In einem Tweet zu Ost-Aleppo heißt es zynisch: „Macht euch keine Sorgen, bald werden keine Videos und Bilder aus Aleppo mehr kommen. Wir werden aufhören, euch mit unseren grausamen Bildern und Horrorgeschichten zu bombardieren.“

Auch Abdel Kafi Al-Hamado, ein Englischlehrer in Ost-Aleppo, der in den vergangenen Tagen oft in den internationalen Medien zu Wort kam, hat eine Art Abschiedsvideo gedreht. „Ich habe meinen Glauben an die Vereinten Nationen und an die Internationale Gemeinschaft verloren“, beginnt er. Er sitzt in einer Regenjacke an eine Hauswand gelehnt, draußen plätschert der Regen. „Russland will, dass wir hier nicht lebend herauskommen. Assad hat das gleiche Ziel. Es gibt viele Feiern im anderen Teil Aleppos. Sie feiern über unsere Leichen“, führt er fort, um dann noch einmal zu appellieren: „Vielleicht könnt ihr noch etwas machen, vielleicht kommen wir hier raus und wir können doch noch einmal miteinander sprechen.“

Am Dienstagabend gibt es dann doch noch einmal Hoffnung: Das Regime und seine Gegner einigen sich auf einen Abzug der Rebellen, auch Zivilisten sollen die Stadt verlassen dürfen. Ob das Wirklichkeit wird, weiß aber niemand.

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