Blamage für die Zentralregierung In Kundus geht die Angst um

Bangkok · Die Angst geht um in der nordafghanischen Stadt Kundus. "Sie plündern unsere Häuser. Einen Bruder von mir haben sie schwer zusammengeschlagen", berichtet ein Afghane aus der Stadt, für deren Eroberung am Montag etwa 500 bis maximal 1000 Kämpfer der radikalislamischen Talibanmilizen genügten.

 Die afghanische Polizei bereitet sich auf einen Gegenangriff vor, um die Stadt Kundus zurück zu erobern.

Die afghanische Polizei bereitet sich auf einen Gegenangriff vor, um die Stadt Kundus zurück zu erobern.

Foto: dpa

Rund 7000 Soldaten und Angehörige von paramilitärischen Regierungsmilizen nahmen sprichwörtlich Reißaus, als die Gotteskrieger von drei Seiten angriffen. "Die Talibs drohen uns mit dem Tod, falls sie wieder aus der Stadt gedrängt werden."

Bislang habe es in der 300 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt keine standrechtlichen Erschießungen gegeben, erzählen Bewohner am Telefon. Lediglich der Verwandte einer Vertreterin im gewählten Provinzrat wurde von den Gotteskriegern verschleppt.

Die Milizen scheinen damit vorläufig den Befehlen zu folgen, die ihr neuer Führer Mullah Akhtar Mohammed Mansur angesichts des ersten spektakulären Erfolgs in einer vor Stolz strotzenden Gratulationsbotschaft an seine Kämpfer verkündete: "Wir sind nicht da, um Rache zu nehmen. Wir kommen mit einer Botschaft des Friedens." Gleichwohl wollen die Taliban für die Stadt das islamische Recht der Scharia einführen.

Vielen Bewohnern von Kundus, die aus ihren Verstecken per Internet und Smartphone mit der Außenwelt kommunizieren können, fällt der Glaube an solche Friedensbotschaften schwer. "Es gibt Kämpfer aus Tschetschenien, Usbekistan und auch aus Pakistan", berichtet ein Mann aus der Stadt, "am schlimmsten aber führen sich die Taliban-Kämpfer aus Kundus auf. Die kennen jeden."

Vor allem die Verwandten ehemaliger Mitarbeiter der Bundeswehr, der US-Armee und ausländischer Entwicklungsorganisationen wie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fühlen sich ihres Lebens nicht mehr sicher.

Der Feind hat schwere Verluste erlitten", behauptet Staatspräsident Aschraf Ghani bei einer Fernsehansprache, "ich rufe die Afghanen auf, sich nicht der Frucht und Angst zu unterwerfen."

Die Milizen haben das Gebäude von Unama, so der Name der UN-Mission am Hindukusch, niedergebrannt sowie Polizeistationen geplündert und in Brand gesteckt. Hilfsorganisationen berichten, ihre Büros seien leer geräumt worden. Auch Fahrzeuge verschwanden zwischen den Hügeln der Umgebung. Außerdem öffneten die Taliban die Tore des Gefängnisses. Bewohner von Kundus fotografierten das seltsame Bild von freigelassenen Gefangenen, die samt ihrer Habseligkeiten in aller Gemütsruhe die Straßen entlang schlenderten.

Mit dem Fall der ersten Provinzhauptstadt seit 2001 und seit dem Abzug der Nato hat sich Präsident Ghani eine schmerzliche Blamage eingehandelt. "Wir hatten genug Soldaten in Kundus", lamentierte ein Vertreter der dortigen Provinzregierung, "aber es fehlte die Führung und der Wille zur Verteidigung." Nato-Länder finanzieren die 320 000 Mann starken Sicherheitskräfte jährlich mit vier Milliarden US-Dollar.

Kabul muss vor allem für eine schwere Fehlkalkulation aus dem Sommer büßen. "Wir haben damals den Tod des früheren Talibanchefs Mullah Omar bekannt gegeben, weil wir hofften, die Milizen würden geschwächt", gab ein afghanischer Diplomat gegenüber dieser Zeitung zu. Doch die Taliban scheinen eher gestärkt.

Ob die afghanische Armee Kundus zurückerobern kann? Das Hauptquartier der Polizei und das städtische Gefängnis seien bereits wieder in der Hand der Sicherheitskräfte, hieß es gestern Abend. Die Nato erklärte, das US-Militär habe in der Provinz Kundus einen Luftangriff geflogen, "um eine Bedrohung für die afghanischen und internationalen Kräfte zu beseitigen".

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