Porträt Hans-Jochen Vogel Immer ruft die Pflicht

Berlin · Er war Oberbürgermeister in München, Bundesjustizminister, Regierender Bürgermeister in Berlin, SPD-Kanzlerkandidat, SPD-Fraktionschef, SPD-Parteichef: Der frühere SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel wird heute 90 Jahre alt.

 ARCHIV - Der Politiker Hans-Jochen Vogel (SPD), aufgenommen am 27.01.2016 auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in München (Bayern). Vogel feiert am 03.02.2016 seinen 90. Geburtstag. Foto: Andreas Gebert/dpa (zu dpa „Muster-Sozialdemokrat und Oberlehrer: Hans-Jochen Vogel wird 90“ vom 02.02.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++

ARCHIV - Der Politiker Hans-Jochen Vogel (SPD), aufgenommen am 27.01.2016 auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in München (Bayern). Vogel feiert am 03.02.2016 seinen 90. Geburtstag. Foto: Andreas Gebert/dpa (zu dpa „Muster-Sozialdemokrat und Oberlehrer: Hans-Jochen Vogel wird 90“ vom 02.02.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++

Foto: dpa

Frank-Walter Steinmeier (2009) und Peer Steinbrück (2013) wären als Kanzlerkandidaten bei einem solchen Ergebnis von den Genossen jubelnd aus der Arena getragen worden: 38,2 Prozent für die SPD bei einer Bundestagswahl. Als Hans-Jochen Vogel 1983 nach dem Zerfall der sozial-liberalen Koalition sehr respektable 38,2 Prozent für die deutsche Sozialdemokratie gegen die Union (48,8 Prozent) unter dem damals noch neuen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) holte, bedeutete dies für Kanzlerkandidat Vogel gleichwohl eine deutliche Niederlage.

Vogel, dessen Kanzlerkandidatur vielfach als „Opfergang für die Partei“ beschrieben worden war, griff sich danach vom ausscheidenden Herbert Wehner den Fraktionsvorsitz und war damit Oppositionsführer.

Wenn der 1926 in Göttingen geborene Vogel heute 90 Jahre alt wird, ist die SPD-Kanzlerkandidatur von 1983 ein Kapitel in einem reichen politischen Leben. Vogel war Oberbürgermeister in München (1960 bis 1972), Bundesjustizminister (1974 bis 1981), für wenige Monate Regierender Bürgermeister in Berlin, SPD-Kanzlerkandidat, SPD-Fraktionschef im Bundestag und ab 1987 auch noch SPD-Parteichef (bis 1991).

Vogel gehört zu den Pflichtmenschen und zu jenen, die aus Überzeugung handeln. Kurz vor seinem Tod im vergangenen November hatte Altbundeskanzler Helmut Schmidt noch ein Geleitwort zu Vogels neuem Buch („Es gilt das gesprochene Wort“) freigegeben, eine Sammlung wichtiger Reden Vogels zusammengestellt mit Blick auf dessen bevorstehenden 90. Geburtstag. Darin würdigte Schmidt seinen langjährigen Weggefährten: „Kanzler wurde er nicht, aber dafür ist Hans-Jochen Vogel zu einem großen Vorbild nicht nur für sozialdemokratische Generationen geworden.“

Vogel war gerührt, „dass der letzte Text, den er zur Verfügung gestellt hat, ausgerechnet für mein Buch war – und auch das, was er geschrieben hat“. Schmidt und Vogel blieben Freunde. Über ihre aktive politische Zeit hinaus, in der sie in der Zeit des RAF-Terrorismus schwierigste Entscheidungen treffen mussten.

Der frühere SPD-Vorsitzende, der seit einiger Zeit in einer Münchner Seniorenresidenz lebt und vor gut einem Jahr seine Parkinson-Erkrankung öffentlich machte, ist bis heute seiner Partei tief verbunden. Vogel muss sich beim Gehen zwar auf einen Stock stützen, doch zum politischen Diskurs ist er unverändert bereit und fähig. Wehe, wenn er das Wort ergreift. Mit seinem Bruder Bernhard, der in der CDU Karriere machte, einigte sich Hans-Jochen irgendwann auf eine Art Waffenstillstand: „Man spricht über manches. Über manches spricht man auch nicht, weil es Zeitverschwendung wäre.“

Doch dass Sigmar Gabriel beim letzten SPD-Parteitag bei den Vorstandwahlen mit 74,3 Prozent abgestraft wurde, kann Vogel nicht verstehen. Dabei hatte Gabriel noch mit einer Liebeserklärung an die Partei geworben: „Vorsitzender der SPD zu sein ist kein Opfergang. Für mich ist es das stolzeste und ehrenvollste Amt, das man in der demokratischen Politik dieses Landes haben kann.“

Doch Gabriel verscherzte sich Sympathien mit einer Replik auf die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann. Vogel kann darüber nur den Kopf schütteln: ein schlechtes Ergebnis für einen SPD-Chef wegen Kritik an der Juso-Spitze. „Ja, dann hätte ich noch nicht einmal 60 Prozent haben dürfen“ Doch Vogel bekam traumhafte 95,5 Prozent (1987) und 98,8 Prozent (1988) für seine Arbeit als Parteichef. Davon können SPD-Vorsitzende heute bestenfalls noch träumen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort