Edmund Stoiber im Interview "Ich drück' Angela Merkel die Daumen"

BONN · Vor elf Jahren stand Edmund Stoiber kurz davor, Kanzler zu werden. Doch die Flut brachte Gerhard Schröder und Rot-Grün die entscheidenden Pluspunkte. Im Interview spricht er über das Hochwasser, seine Rolle im Wahlkampf und seine Popularität im Netz.

 "Meine Frau meinte: Musst Du Dir das noch antun?" Edmund Stoiber beim GA-Interview.

"Meine Frau meinte: Musst Du Dir das noch antun?" Edmund Stoiber beim GA-Interview.

Foto: Barbara Frommann

Wenn Sie die Bilder vom Hochwasser sehen. Kommen da Erinnerungen an 2002 auf?
Edmund Stoiber: Ich bin damals natürlich, wie alle anderen auch, davon ausgegangen, dass das ein Jahrhunderthochwasser ist, das ich nie mehr erleben muss. Jetzt ist das Wasser teilweise noch höher gestiegen. Seinerzeit ist viel getan worden, aber offenbar noch nicht genug.

Gerhard Schröders Auftritte trugen damals zu dessen Wahlsieg bei. Werfen Sie sich vor, dass Sie damals als Kanzlerkandidat nicht an der Elbe waren?
Stoiber: Ich war natürlich auch an der Elbe.

Aber viel später, und Schröders Besuche sind mit mehr Öffentlichkeit verbunden gewesen.
Stoiber: Schröder war Bundeskanzler und so der Handelnde. Ich hatte Skrupel, als Ministerpräsident von Bayern in Sachsen-Anhalt und Sachsen aufzutreten, ohne dort eine Funktion zu haben. So war ich erst an der Donau und bin dann mit der bayerischen Feuerwehr und den Helfern nach Leipzig, Dresden und Bitterfeld gefahren.

Wie bewerten Sie, dass SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bis jetzt nicht an der Elbe war?
Stoiber: Ich halte das für absolut falsch. Man muss sich ein eigenes Bild machen, in welcher Situation die Menschen dort sind - auch ein Oppositionspolitiker muss das. Schließlich müssen in den nächsten Monaten wichtige Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel beim Hochwasserschutz.

Sie könnten jeden Tag Vorträge halten, haben Sie mal gesagt. Wie gefällt Ihnen denn die Rolle des Elder Statesman?
Stoiber: Ich bin sehr angetan. Es ist ja keine Selbstverständlichkeit, auch nach der aktiven Zeit den einen oder anderen Rat geben zu können und nach wie vor geschätzt zu sein.

Sie sind CSU-Ehrenvorsitzender. Werden Sie auch in den Wahlkampf eingreifen?
Stoiber: Ja. Horst Seehofer hat mich gebeten, dass ich so viele Veranstaltungen wie möglich mache. In der CDU sieht man das wohl ähnlich. Sonst hätte ich nicht den Wahlkampf in Hamburg eröffnen sollen. Meine Frau meinte, als ich spätabends nach Hause kam: Musst Du Dir das denn noch antun? Als sich da Blockupy-Leute anketteten, habe ich mich an alte Zeiten erinnert. An den Wahlkampf 1980 mit Franz Josef Strauß, den ich organisiert hatte.

Wie beurteilen Sie die Politik von Angela Merkel?
Stoiber: Ihr großes Kapital ist ihre absolute Vertrauenswürdigkeit. Sie ist unprätentiös, uneitel, sehr bestimmend und sehr pragmatisch. Die Menschen wissen, dass das Thema Europa außerordentlich kompliziert ist. Viele befassen sich nicht näher damit, aber sie haben das Gefühl, die Bundeskanzlerin wahrt die deutschen Interessen und bringt sich ein als Leaderin Europas - gezwungenermaßen. Manche bezeichnen Deutschland ja als Hegemon wider Willen. Die Briten sprechen vom accidental empire.

Wie meinen Sie das?
Stoiber: Helmut Schmidt und Helmut Kohl waren auch bestimmende Faktoren in der europäischen Politik, aber sie wurden nie in eine politische Führungsrolle gedrängt. Jetzt ist es so, dass wir die Finanzkrise in Europa am schnellsten bewältigt haben und ökonomisch außerordentlich stark sind. Deshalb fällt Angela Merkel eine Leaderrolle zu. Ich drück' die Daumen, dass sie die schwierige Aufgabe weiter so gut meistert.

Was wird die Wahl entscheiden, die Gerechtigkeit?
Stoiber: Nein. Es gibt da keinen großen Gegensatz wie etwa "Freiheit oder Sozialismus", der Unionsslogan 1976. Nur als Beispiel: Wir wollen tarifliche Lohnuntergrenzen, die SPD will den gesetzlichen Mindestlohn. Vielleicht mag die SPD eine höhere Akzeptanz in Sachen sozialer Gerechtigkeit haben, aber die ist nur minimal.

Wie geht es in Europa weiter?
Stoiber: Da ist es jetzt unsere gemeinsame Aufgabe, dass Spanier, Italiener und Franzosen eine andere wirtschaftliche Substanz bekommen. Wir müssen uns auch gegenseitig helfen, denn unser Heimatmarkt ist nicht allein der deutsche.

Wie denn?
Stoiber: Zum Beispiel durch Reformen des Arbeitsmarkts und eine bessere berufliche Bildung. Aber das ist nicht einfach. Die Spanier sind nicht in der Lage, ihre fast 60-prozentige Jugendarbeitslosigkeit allein zu bewältigen. EU-Kommissar Günther Oettinger hat gesagt, Italien, Bulgarien und Rumänien sind im Grunde genommen kaum regierbar. Da gebe ich ihm durchaus Recht, sie brauchen Europa.

Hat sich Ihr Blick auf Europa verändert, seitdem Sie eine EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau leiten?
Stoiber: Ich merke immer mehr, dass wir gerade den jungen Menschen eine neue Begründung dafür geben müssen, warum wir Europa brauchen. Ich kann denen nicht mehr nur erklären: Europa ist eine Antwort auf die Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts.

Haben Sie sich vom Europa-Skeptiker zum Befürworter gewandelt?
Stoiber: Ich war gegen die Einführung des Euro mit Spanien, Portugal und Italien. Das war eine große Auseinandersetzung mit Helmut Kohl. Später zu Zeiten Gerhard Schröders kritisierte ich die Aufnahme Griechenlands. Wir können die Vergangenheit aber nicht mehr ändern. Sie sind drin. Und wir können und sollten sie nicht hinausdrängen. Also müssen wir schauen, wie wir gemeinsam mit dem Problem fertig werden. Ich glaube aber, wir werden es schaffen.

Sie haben mal gesagt, viele Politiker nutzten das Internet, verstünden aber nicht, damit umzugehen. Was meinten Sie damit?
Stoiber: Viele junge Menschen holen all ihre Informationen aus dem Netz. Im Bewusstsein der Parteien muss das Netz daher eine viel größere Bedeutung bekommen. Als ich vor fünf Jahren gelesen habe, Barack Obama hätte es abgelehnt, der "Washington Post" oder anderen Zeitungen ein Interview zu geben und auf seine Aussagen im Netz verwiesen, hab ich es nicht verstanden. Jetzt sehe ich: Er war dem Trend der Zeit voraus.

Sie haben am eigenen Leib erlebt, dass es im Netz auch viel Häme und Spott gibt, etwa über ihre Transrapid-Rede.
Stoiber: Die hat mich aber auch sehr populär gemacht.

Verletzt Sie die Kritik?
Stoiber: Nein, das nicht. Aber das Netz bringt generell durch seine Anonymität auch viel Hass und Bösartigkeit mit sich. Ich glaube, dass wir das gesellschaftlich auch problematisieren müssen.

Welchen Blick haben Sie heute auf die Politik generell?
Stoiber: Die Kritik an der Politik ist stärker geworden. Wir dürfen aber keine Empörungsdemokratie werden. Unsere Aufgabe ist es jetzt, in Land und Gesellschaft mehr über die Inhalte zu diskutieren.

Zum Beispiel?
Stoiber: Man erregt sich doch nicht mehr darüber, was das Problem mit dem Euro Hawk war, sondern wann hat Thomas de Maizière was gewusst oder nicht gewusst. Ich möchte gern, dass wir über Inhalte reden, damit wir eine tolle Republik bleiben. Dürfen wir Steuern erhöhen? Welche Konsequenz hat das? Das ist für mich viel wichtiger als mich über irgendeinen Lapsus von Peer Steinbrück zu verbreiten.

Zur Person

Edmund Stoiber war von 1993 bis 2007 bayerischer Ministerpräsident, neun Jahre davon auch CSU-Chef. Seit 2008 ist er ehrenamtlicher Leiter einer EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau. Im vorigen Jahr veröffentlichte Stoiber unter dem Titel "Weil die Welt sich ändert" seine Memoiren. Er ist 71 Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder und fünf Enkelkinder.

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