Regierung in Russland Hurrapatriotische Seifenoper

Moskau · In der neuen Staatsduma versammelt sich eine Dreiviertelmehrheit der Partei „Einiges Russland“. Darunter viele graue Beamte aus der Provinz aber auch Promis aus Sport, Kultur und Politik.

 Auch er ist Abgeordneter: Der Fallschirmjägergeneral Wladimir Schamanow, der sich einen Namen als brutaler Haudrauf in beiden Tschetschenienkriegen machte.

Auch er ist Abgeordneter: Der Fallschirmjägergeneral Wladimir Schamanow, der sich einen Namen als brutaler Haudrauf in beiden Tschetschenienkriegen machte.

Foto: dpa

Unter den neuen Parlamentariern finden sich auch Legenden. Etwa der bisherige Sankt Petersburger Stadtrat Wjatscheslaw Milonow, berühmt für seine repressiven Eingaben: Ein Wasserpfeifenverbot, ein Stop aller Schönheitswettbewerbe mit Teilnehmern unter 16 Jahren, aber vor allem das berüchtigte Gesetz, das Schwulenpropaganda untersagt und 2013 von der Staatsduma übernommen wurde.

Eine Sankt Petersburger Bürgerinitiative forderte vergeblich, den erklärten Homophoben einer psychischen Zwangsuntersuchung zu unterziehen. Stattdessen brachte er es zum Schwule jagenden Helden des Computerspiels „Milonow Go“. Jetzt wird Milonow für Putins Staatspartei „Einiges Russland“ (russisch kurz: ER) in der Staatsduma Verbote einbringen.

Eine Woche nach den Wahlen zeichnet sich das Gesicht des neuen russischen Parlaments klar ab. Einerseits wird es eintönig sein: Begünstigt durch eine niedrige Wahlbeteiligung und die Wiedereinführung der Direktmandate wird ER 343 von 450 Abgeordneten stellen. Damit besitzt die Partei eine glatte – und verfassungsändernde – Dreiviertelmehrheit. Andererseits sind unter den neuen ER-Deputierten viele Figuren, die wie Milonow schon landesweit für viel Lärm gesorgt haben.

Allerdings demonstrierten die Unruhestifter in Moskau dabei immer Ergebenheit für Staatschef Putin, ihre einzige Abweichung gegenüber seiner Politik war in der Regel vorauseilender Gehorsam.

Zu ihnen gehört Fallschirmjägergeneral Wladimir Schamanow, der sich einen Namen als brutaler Haudrauf in beiden Tschetschenienkriegen machte. Menschenrechtler bezichtigten ihn zahlreicher Kriegsverbrechen. Oder Natalja Poklonskaja, bislang Chefstaatsanwältin der 2014 annektierten Krim, bekannt für ihre antiukrainischen Sprüche und die rigorose Verfolgung krimtatarischer Aktivisten. Die dunkelblonde Schönheit gilt als Sexsymbol der neuen Vaterländischkeit; in der Staatsduma soll sie die Einkommen ihrer Abgeordnetenkollegen kontrollieren. Dazu kommen TV-Moderatoren wie Pjotr Tolstoi, früher leitete er die stramm antiwestliche Propagandashow „Die Zeit wird es zeigen“. Oder Kulturschaffende wie die – ebenfalls homophobe – und wortgewaltige Theaterkritikerin Jelena Jampolskaja: „Zwei Kräfte bewahren Russland vor dem Abgrund: Die erste heißt Gott. Die zweite Stalin.“ Genug Darsteller für eine hurrapatriotische Seifenoper.

Olympiasieger, Raumfahrer, Funktionäre

Hinzu gesellen sich nach postsowjetischer Tradition weniger lautstarke Berühmtheiten: Olympiasieger wie der dagestanische Freistilringer Buwajsar Saitijew oder die Kosmonautin Jelena Serowa, die erste Russin auf der Internationalen Weltraumstation. Die Masse der ER-Debütanten aber stellen weniger prominente Beamte und politische Funktionäre aus der Provinz.

Einige Beobachter vermuten, Neuzugänge wie Milonow würden nun mit alteingesessenen Hardlinern in der Staatsduma wetteifern, zusätzliche Schikanen für Minderheiten oder Oppositionsgruppen zu schaffen.

Andere erwarten, die graue Masse der Provinzbeamten werde dagegen für Gegensätze auch innerhalb der ER-Fraktion sorgen, weil sie eher die Interessen ihrer Regionen als die Wünsche der „Zentrale“ im Auge hätten. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Privilegien und Pfründe des Parlaments auch Vertreter der Provinzeliten schnell ins Fahrwasser des Kremls lenken. Die Zeitung Moskowski Komsomoljez betitelt die neu gewählte Duma bereits als „Kollektiven Putin“.

Schon in der bisherigen Duma, auch in den sogenannten Oppositionsfraktionen der Kommunisten, Liberaldemokraten und des „Gerechten Russlands“, saßen fast nur Abgeordnete, die im Zweifelsfall für Wladimir Putin stimmten.

„Die Staatsduma selbst startet tatsächlich keine eigenen Initiativen, sondern bestätigt alles, was aus dem Kreml kommt“, sagt der Petersburger Politologe Dmitri Trawin unserer Zeitung. „Und das wird so bleiben.“

Außerdem schickt Wladimir Putin Wjatscheslaw Woloschin, den Vizechef der Kremladministration und einen seiner engsten politischen Mitarbeiter, als Vorsitzenden ins Moskauer Parlament. Das ist wahrlich kein Signal dafür, dass die Abgeordneten künftig außer viel Lärm wirkliche Veränderungen liefern werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
Zum Thema
Aus dem Ressort