Häusliche Gewalt Hohe Dunkelziffer bei Gewalt gegen Frauen

Berlin · Im Jahr 2017 starben in Deutschland 147 Frauen durch Gewalt des Partners. Familienministerin Franziska Giffey will einen Rechtsanspruch auf Schutz durchsetzen.

"Ohne mich bist du nichts, hat er gesagt. Dir glaubt doch eh' keiner, hat er gesagt. Er wird uns überall finden, hat er gesagt. Aber jetzt rede ich."Die Frauen, die das für eine von Familienministerin Franziska Giffey gestartete Hilfskampagne in die Kamera sagen, sind Darstellerinnen um die Schauspielerin Alina Levshin. Sie zeigen mutig ihr Gesicht, sie warnen potenzielle Täter und stellen sich gemeinsam stark und selbstbewusst auf. Die Wirklichkeit ist weit davon entfernt. Die ganz große Mehrheit der Gewaltopfer traut sich nicht einmal, anonym um Hilfe zu bitten. Das Schweigen der Frauen ist die Macht der Männer.

2017 starben in Deutschland 147 Frauen durch Gewalt des Partners. Oft im eigenen Zuhause, das nichts mit dem Schutz und der Zuflucht zu tun hat, wofür Familie, Lebensgemeinschaft und Heim stehen. Annähernd an jedem zweiten Tag kommt es also zu einem Beziehungsdrama mit tödlichem Ausgang für die Frau. Nur ein Bruchteil davon wird zum Thema in der Öffentlichkeit.

Meistens erschüttern schockierende Nachrichten das Land, wenn Flüchtlinge zugeschlagen, zugestochen und vergewaltigt haben. Giffey bemüht sich bei der Vorstellung der Kriminalstatistik um eine vorsichtige Wortwahl, aber ihre Botschaft ist klar: Die Mehrheit der Täter sind nicht Ausländer, auch wenn die mediale oder subjektive Wahrnehmung dies vermuten lasse. 67,8 Prozent der Tatverdächtigen sind Deutsche. Unter den Ausländern ist die Gruppe der Türken mit Abstand am größten, gefolgt von Polen, Syrern, Rumänen und Italienern.

Gewalt gegen Frauen komme in allen ethnischen und sozialen Bereichen vor, betont Giffey. Die meisten Tatverdächtigen waren zwischen 30 und 39 Jahre alt. Dennoch: Je schlechter die soziale Lage ist, desto höher ist die Kriminalität. Sehr oft (zu 23 Prozent) spielt Alkohol eine Rolle. Aber eben auch Mangel an Arbeit, Geld und Bildung.

Neu aufgenommen in die Auswertung der Partnerschaftsgewalt wurden die Straftatbestände Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Kinder, Jugendliche, Erwachsene werden an Freier verkauft und versklavt. 6700 Opfer wurden hier registriert. Auch das ist ein Grund, warum die Gesamtzahl im vorigen Jahr gestiegen ist: auf rund 139.000 (2016: 133.000).

Von Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind zu 98 Prozent Frauen betroffen. Bei Körperverletzung, Mord und Totschlag ist das Verhältnis 82 Prozent Frauen zu 18 Prozent Männer. Ohne Männer zurücksetzen zu wollen, wie Giffey betont, trägt das nach und nach ausgebaute Projekt Hilfstelefon angesichts dieser Zahlen den Titel „Gewalt gegen Frauen“. Seit seiner Gründung 2013 wurde das Hilfetelefon 143.000 Mal angewählt. Dort ist immer jemand, der zuhört, rund um die Uhr, an jedem Tag im Jahr. Die Beratung ist vertraulich, kostenlos, in 18 Sprachen. Unter der Nummer 08000/116 016 wird Jungen und Männern genauso geholfen. 300 Männer haben sich im Vorjahr gemeldet. Inzwischen gibt es auch Männerhäuser.

Und die Dunkelziffer geschlagener, gestalkter und vergewaltigter Frauen ist dramatisch Maß hoch. Nach Angaben der Hilfetelefon-Leiterin, Petra Söchting belegen Studien, dass jede vierte Frau in ihrem Leben Gewalt erlitten hat, aber nur 20 Prozent von ihnen darüber gesprochen oder die Tat angezeigt haben. Bei einem „Dunkelfeld“, wie es Giffey nennt, von 80 Prozent, kann also fast jeder davon ausgehen, dass Gewalt in der Partnerschaft auch vor seinem Umfeld nicht haltmacht.

„Wir brechen das Schweigen“, lautet das Versprechen der Ministerin. Reden ist der erste Schritt aus der Gewaltspirale. Aber das ist schwer. Viele Frauen empfinden Scham darüber, was ihnen angetan wurde. Manchmal verstummen sie für Jahrzehnte. Giffey will einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt durchsetzen. Das bedeutete auch, dass der Bund mehr Geld zum Ausbau von Hilfsangeboten geben müsste. Mehr Plätze in Frauenhäusern könnten so zum Beispiel geschaffen werden.

Damit sich nicht die Opfer, sondern die Täter für die Tat schämen, müssen diese geoutet, geortet und bestraft werden. Die Bochumer Gleichstellungsbeauftragte Regina Czajka sagt es so: „Wir müssen die Gewalt ächten.“

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