Interview mit NRW-Innenminister Herbert Reul sieht sich ohne Schuld

BONN · NRW-Innenminister Herbert Reul schließt nicht aus, dass der Missbrauchsfall Lügde nur die Spitze des Eisbergs ist. Er selbst sieht sich nicht für Ermittlungspannen verantwortlich, sagt er im GA-Interview.

 Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, weist Verantwortung für die Pannen im Fall Lügde zurück.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, weist Verantwortung für die Pannen im Fall Lügde zurück.

Foto: dpa

Ist Lügde nur die Spitze eines Eisberges an Missbrauchsfällen?

Herbert Reul: Ich kann das zumindest nicht ausschließen. Wir fahren momentan einen knallharten Aufklärungskurs. Und die Folge von Aufklärung ist, dass mehr herauskommt. Bei der Polizei, aber möglicherweise auch bei anderen Institutionen, Kindergärten und Schulen zum Beispiel. Das Gute ist: Jetzt gucken alle genauer hin.

War Lügde ein Wendepunkt?

Reul: Ja, klar. Der Fall Lügde wird den öffentlichen Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch von Kindern nachhaltig verändern. Die Gesellschaft insgesamt hat das Thema jahrzehntelang nicht ernst genommen. Das gilt auch für meine Partei. Aber das ändert sich gerade, weil der sexuelle Missbrauch von Kindern sich nach Lügde zu einem behördenübergreifenden Schwerpunkthema entwickelt. Vielleicht ist das das einzig Gute in diesem ansonsten so schrecklichen Fall.

Sie haben ja mehrere Baustellen. In Kleve verbrannte ein Häftling, den die Polizei verwechselt hatte. In Minden wurde in einem Missbrauchfall eine Hausdurchsuchung 14 Monate lang verschleppt. Welche Behördenpannen waren die gravierendsten?

Reul: Lügde war das bislang schlimmste Beispiel. Da ging es nicht nur um individuelle Fehler, sondern auch um systemische. Die Beweismittel wurden nicht abgesichert, die Aktenführung war nicht sorgfältig, da wurden Zeugenangaben abgeheftet und nicht weitergegeben. Kleve war nach heutigem Kenntnisstand das individuelle Versagen von zwei Beamten, die jemanden verwechselt haben, den man eigentlich gar nicht verwechseln konnte. In Minden war alles weitgehend ordentlich, bis auf einen dicken Fehler: Die Durchsuchung kam viel zu spät.

Warum hat Lippe so lange gedacht, die Lage im Griff zu haben?

Reul: Ich glaube, man hat gehofft, die Lage noch irgendwie selbst in den Griff zu bekommen. Um sich diese Blamage zu ersparen.

Sind ländliche Polizeibehörden wie Lippe mit komplexen Fällen überfordert?

Reul: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt Landratsbehörden, die machen sogar einen hervorragenden Job. Es hängt immer von den Leuten ab.

NRW hat mehr Kreispolizeibehörden als alle anderen westdeutschen Flächenländer zusammen. Wann reformieren Sie die Polizei?

Reul: Schritt für Schritt. Ich kläre erst auf, dann analysiere ich, dann ziehe ich Konsequenzen. Da wird es keine Denkverbote geben. Aber bevor man über Lösungen redet, muss man zuerst die Fehlerquellen kennen. Übrigens: Oft sind Veränderungen im Detail viel schneller und effektiver als irgendwelche langwierigen Mammutreformprojekte.

Also steht alles zur Dispositon?

Reul: Nein, alles nicht. Wir müssen auch aufpassen, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Sind die extrem vielen Kreispolizeibehörden für Sie ein Prüfgegenstand oder nicht?

Reul: Warum soll diese Struktur von Nachteil sein? Sie kann ein Grund für die systemischen Fehler in Lippe sein. Das müssen wir aber erst mal klären.

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