Kommentar zum Redeverbot für Erdogan Haltung zeigen

Meinung · Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel tappen sehenden Auges in eine Zwickmühle und begeben sich dazu auf juristisch dünnes Eis. Richtig ist: Eine Demokratie muss sich nicht alles gefallen lassen.

 Er hat sich persönlich noch nicht geäußert: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Er hat sich persönlich noch nicht geäußert: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Foto: AFP

Da ist ein Präsident, der sich per Referendum mehr Macht sichert, um autokratisch regieren zu können. Einer, der einen Putschversuch erfolgreich niederkämpfte und jetzt Oppositionelle, Anwälte und Journalisten – darunter auch deutsche Staatsbürger – einsperren lässt. Einer, der freie Meinungsäußerung im eigenen Land kaum mehr duldet.

Recep Tayyip Erdogan schießt in seinem Anti-Terror-Kampf weit über jegliche Grenzen eines demokratischen Rechtsstaats hinaus, droht gar mit der Einführung der Todesstrafe. Der türkische Präsident rückte die Bundeskanzlerin in die Nähe des Nationalsozialismus, erlaubte es deutschen Abgeordneten nicht, die Bundeswehr in Incirlik zu besuchen.

Soll so einer in Deutschland vor seinen Anhängern für seine Politik werben dürfen und sich dabei ausgerechnet auf die freie Meinungsäußerung hierzulande berufen können? Die richtige politische Antwort: Nein. Die Entscheidung der Bundesregierung für ein Verbot von Auftritten Erdogans am Rande des G20-Gipfels ist nach allen Zerwürfnissen zwischen Deutschland und der Türkei nur folgerichtig. Eine Demokratie muss sich nicht alles gefallen lassen. Eine Demokratie darf Zähne und Haltung zeigen, auch in Solidarität etwa mit dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der weiterhin in Erdogans Haft sitzt.

Auch die Form der Absage stimmt. Mit einer Verbalnote des Auswärtigen Amtes erfolgt sie auf diplomatischem Weg, ganz seriös und offiziell. Damit ist der Druck von den Schultern der Hallenbetreiber und Kommunen genommen, die die türkische Regierung für Auftritte angefragt hätte oder bereits hat. Es wäre fatal gewesen, hätte die Bundesregierung die Absagen weiterhin Bürgermeistern und Geschäftsleuten überlassen.

Doch Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel tappen jetzt sehenden Auges in eine Zwickmühle Erdogans: Hätten sie ihn gewähren lassen, hätten sie Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verspielt. Mit dem Verbot kann sich der türkische Präsident nun als Opfer deutscher Politik inszenieren.

Für die deutsch-türkischen Beziehungen und die G20-Gespräche ist das pures Gift. In Hamburg wird die Türkei vor allem bei den Verhandlungen um den Krieg in Syrien und die Krise am Golf eine zentrale Rolle spielen. Ohne Erdogan gibt es keinen Flüchtlingsdeal, an dessen Scheitern kein deutsches Regierungsmitglied Interesse hat. In Ankara ist man sich dessen sehr bewusst.

Hinzu kommt, dass sich die Bundesregierung auf juristisch dünnes Eis begibt. Sie hat das Recht, ausländischen Staatsgästen Auftritte zu untersagen. Das bestätigten bereits mehrere Gerichte, auch das Bundesverfassungsgericht. Ein generelles Auftrittsverbot für die verbleibenden drei Monate vor der Wahl auszusprechen, EU-Politikern Auftritte aber zu erlauben, wirkt doch sehr wacklig und arg konstruiert.

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