Guido Westerwelle: "Der Weg zur Demokratie verlangt langen Atem"

Der Bundesaußenminister spricht über die arabische Revolution, das Verhalten des Westens und den Einfluss der Islamisten.

 Guido Westerwelle.

Guido Westerwelle.

Foto: ap

Rund ein Jahr nach Beginn des Arabischen Frühlings: Was überwiegt: die Freude über das Erreichte oder die Trauer mit den vielen Opfern in den Ländern, die ihr altes Regime noch nicht überwunden haben?
Westerwelle: Vor einem Jahr hätte kaum jemand einen solchen Aufbruch für möglich gehalten. In Tunesien, Ägypten und Libyen sind erste Schritte eines demokratischen Neuanfangs getan. Tausende haben dafür mit ihrem Leben bezahlt. In Syrien drängen wir auf ein umgehendes Ende der Gewalt und die Chance für einen freiheitlichen Wandel.Wir sollten übrigens nicht vergessen: Auch in Marokko und Jordanien wurden Reformen eingeleitet

War der Westen insgesamt, was die Demokratisierung der arabischen Welt angeht, zu optimistisch, auch zu blauäugig?
Westerwelle: Von Anfang an war klar, dass sich Freiheit, Demokratie und rechtsstaatliche Verhältnisse nicht über Nacht einstellen würden. In Nordafrika und der arabischen Welt gibt es sehr unterschiedliche Länder. Der Weg zu Demokratie und Pluralismus verlangt Beharrlichkeit und langen Atem. Das gilt auch für unsere Unterstützung.

Wird die EU ihrer Verantwortung, zur Stabilisierung der Region beizutragen, gerecht oder ist sie zu sehr von der Euro- und Schuldenkrise absorbiert?Westerwelle: Die Überwindung der Schuldenkrise darf nicht dazu führen, dass wir den demokratischen Aufbruch am südlichen Rand des Mittelmeers vernachlässigen. Denn er ist eine historische Chance, auch für Europa. Künftig werden wir Hilfen viel klarer an demokratische Fortschritte knüpfen, die Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Ich werde mich auch weiter dafür einsetzen, dass der europäische Markt für Produkte aus den Ländern geöffnet wird, die Fortschritte in Richtung Demokratie machen.

Gehen Sie davon aus, dass die Erfolge unumkehrbar sind?
Westerwelle: Wir sollten jedenfalls alles dafür tun, damit es dazu kommt.

Wird die Gefahr, die von islamischen oder islamistischen Bewegungen, Bruderschaften oder Parteien ausgeht, überzeichnet?
Westerwelle: Niemand konnte erwarten, dass aus der arabischen Revolution eine Parteienlandschaft wie in Europa hervor geht. Wir haben es mit islamisch geprägten Gesellschaften zu tun. Es kann niemanden überraschen, dass der politische Islam infolge der Umbrüche in Nordafrika an Einfluss gewonnen hat. Islamische Orientierung bedeutet aber nicht per se antidemokratische und unfreiheitliche Gesinnung. Es besteht jetzt die Chance, dass sich gemäßigt islamische Kräfte dauerhaft als islamisch-demokratische Parteien etablieren. Darauf sollten wir hinwirken, im Dialog mit klaren demokratischen und rechtsstaatlichen Kriterien.

Was würden Sie heute anders machen?
Westerwelle: Für eine abschließende Bewertung ist es wirklich noch zu früh, denn alles ist im Fluss. Entscheidend ist, den Wandel hin zu demokratischen und pluralen Gesellschaften zu unterstützen. Das bleibt auch 2012 ein Schwerpunkt meiner Außenpolitik.

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