Kritik und Skandale bei der Truppe Großbaustelle bei der Bundeswehr

BERLIN · Ursula von der Leyen muss an vielen Ecken anpacken. Auch ein Liederbuch fällt dem Aufräumen zum Opfer. Das sind die Baustellen der Verteidigungsministerin.

Das Aufräumen in der Truppe macht selbst vor dem Abbild eines verstorbenen Bundeskanzlers nicht Halt. Der junge Helmut Schmidt auf einem Foto in Wehrmachtsuniform – geht so nicht mehr. Anweisung der Vorgesetzten an der nach Helmut Schmidt benannten Bundeswehr-Universität Hamburg: Das Bild muss weg. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist derweil voll damit beschäftigt, die Krise zu kontrollieren. Wie schon in der vergangenen Woche, als die CDU-Politikerin 100 Generäle und Admiräle zur Aussprache nach Berlin bestellte, wählte sie am Freitag beim Besuch des Zentrums für Innere Führung in Koblenz das Gespräch hinter verschlossener Tür.

Diese Krise ist längst zu einer Krise für die Ministerin geworden, die anfangs allzu pauschal ein „Haltungsproblem“ in der Bundeswehr ausmachte und dafür heftig kritisiert worden war. Inzwischen ist ein weiterer Oberleutnant wegen rechtsextremer Äußerungen vom Dienst suspendiert worden. Ex-Heeresinspekteur Bruno Kasdorf sagte der „Bild“-Zeitung, er mache Haltungs- und Führungsprobleme aber „eher an der Spitze aus“ – auch bei der Ministerin. Tatsächlich hat von der Leyen in der Truppe zahlreiche Baustellen.

Innere Führung: In einem Tagesbefehl vom Mittwoch dieser Woche verweist von der Leyen darauf, dass die Würde des Menschen Leitschnur der Inneren Führung bei der Bundeswehr sei. Angesichts der jüngsten Vorfälle will von der Leyen mit dem Programm „Innere Führung heute“ dafür sorgen, dass dieses Konzept „im alltäglichen Dienst bis in die kleinste Verästelung wirklich gelebt und erlebt wird“. Zur Inneren Führung gehört die gesellschaftliche Integration der Bundeswehr, die bis zur Aussetzung der Wehrpflicht in allen Bevölkerungsschichten breit verankert war. Ebenso sollen durch Innere Führung die Grundrechte garantiert werden sowie rechtsstaatliche Prinzipien für das militärische Handeln gelten. Von der Leyen will vor dem Hintergrund der jüngsten Vorfälle von Mobbing, sexueller Belästigung und Rechtsextremismus prüfen, „wie wir die Vermittlung der Inneren Führung in die verschiedenen Ausbildungsgänge von Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren früher und verpflichtend einfügen können“.

Traditionserlass: An zahlreichen Bundeswehrstandorten bewahren Soldaten Wehrmachtsstücke wie Helme oder Landserbilder auf. Der gegenwärtig gültige Traditionserlass stammt aus dem Jahr 1982 und beinhaltet Sätze wie: „Das Singen in der Truppe ist ein alter Brauch, der bewahrt werden soll.“ Von der Leyen kündigte an, den Traditionserlass zu überarbeiten. Sie ließ inzwischen die Ausgabe eines Bundeswehr-Liederbuches mit Stücken wie „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ stoppen. Künftig soll die mehr als 60 Jahre währende Geschichte der Bundeswehr stärker betont werden.

Dienstrecht: Von der Leyen will möglichst bald das Wehrdisziplinarrecht reformieren. Es stammt aus dem Jahr 1957 und war letztmals 2001 überarbeitet worden. Künftig sollen Entscheidungen über mögliches Fehlverhalten von Soldaten „schneller, sicherer und transparenter“ geahndet werden können. Ein Schnellschuss ist trotz der drängenden Probleme nicht zu erwarten. Eine Reform des Wehrdisziplinarrechts noch in dieser Legislaturperiode gilt allerdings als unwahrscheinlich.

Wehrpflicht: Als Reaktion auf die jüngsten Vorfälle in der Bundeswehr mehren sich Stimmen führender Verteidigungs- und Innenpolitiker, die Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt, faktisch aber abgeschafft worden war, wieder einzusetzen. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) erklärte zuletzt, es wäre sicher keine falsche Entscheidung, die Wehrpflicht wieder einzuführen. „Wir müssen feststellen, dass die Freiwilligenarmee doch kein Spiegelbild mehr der gesamten Gesellschaft ist.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg hatte früh eine Rückkehr zur Wehrpflicht vorgeschlagen. Diese sei ein Frühwarnsystem gegen Extremismus von rechts und links. Dagegen machte Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich, dass sie an der grundsätzlichen Entscheidung, die Wehrpflicht auszusetzen, festhalten wolle. In der „Kontinuität dieser Entscheidung“ sollten auch die „notwendigen Reformen“ eingeleitet werden. Die Bundeswehr brauche „Berechenbarkeit in ihrer Entwicklung“, so die Kanzlerin.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ende der Naivität
Kommentar zu russischer Spionage in Deutschland Ende der Naivität
Zum Thema
Aus dem Ressort
Unklug
Kommentar zur Bundeswehr Unklug
Trügerisch
Kommentar zum Wirtschaftswachstum in Deutschland Trügerisch