Etatdebatte im Bundestag Grüße von Alice im Wunderland

BERLIN · Es ist jetzt 11.56 Uhr. Die Kanzlerin spricht seit exakt 26 Minuten. Ein Mann in der ersten Reihe der Regierungsbänke müsste eigentlich so müde sein, dass ihm die Augen zufallen, obwohl gerade seine Regierungschefin auftritt. Er müsste. Aber Wolfgang Schäuble ist nach einer durchverhandelten Nacht in Brüssel wacher als der Arzt erlaubt.

 Haushaltsdebatte im Bundestag: Peer Steinbrück, designierter SPD-Kanzlerkandidat...

Haushaltsdebatte im Bundestag: Peer Steinbrück, designierter SPD-Kanzlerkandidat...

Foto: dpa

Bis fünf Uhr morgens hat der deutsche Finanzminister im Kreise seiner Kollegen aus der Euro-Zone über das Wachkoma des griechischen Patienten verhandelt.

Wieder geht es um Geld für Griechenland, das Euro-Sorgenkind Nummer eins. Wieder ist eine Finanzierungslücke offen, von mindestens 14 Milliarden Euro bis 2014 ist die Rede. Und wieder muss Schäuble, kaum in Berlin gelandet, den Fraktionen des Bundestages, die alle zu früher Stunde in Sondersitzungen tagen, einzeln erklären, wie viel Geld die nächste Rettung Griechenlands kosten soll. Es geht um die Auszahlung bislang zurückgehaltener Notkredite. Das Geld bekommen die Hellenen erst, wenn der Bundestag, der beteiligt werden muss, kommende Woche zustimmt.

Schäuble jedenfalls wirkt wacher als wach. Merkel dankt ihrem Finanzminister dafür, dass er "die ganze Nacht gearbeitet hat". Die Sorge um den Euro wird dadurch nicht kleiner. Noch ist nichts entschieden. Noch ist nichts gerettet. Merkel und Schäuble sind sich nur einig, dass Griechenland nicht aus der Euro-Zone verstoßen werden soll, weil die Folgen eines Austritts völlig unkalkulierbar wären.

Der Tag in Berlin hat mit Griechenland begonnen. Und er sollte unter anderem mit Griechenland weitergehen. Peer Steinbrück, noch gut zwei Wochen im Status des designierten Kanzlerkandidaten der SPD, hat Aufschlag im Duell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Generaldebatte über den Etat des Kanzleramtes ist alle Jahre wieder der erhoffte große und manchmal dann doch nur laue Schlagabtausch zwischen Opposition und Regierung. Steinbrück muss just jene Frau angreifen, mit der er als Bundesfinanzminister das Land durch die erste große Finanzkrise nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers 2008 geführt hat.

Die beiden haben sich schätzen gelernt. Und Steinbrück ist in diesen ersten Minuten seiner Rede anzumerken, dass er ganz bewusst nicht die volle Attacke gegen Merkel riskieren will. Deutschland stehe besser als vor der Krise da? Wie bitte? Was hat der SPD-Herausforderer vor? Will er Merkel jetzt den roten Teppich ausrollen? Ach so, kleine Anleihe bei "Alice im Wunderland", wie Steinbrück spitzbübisch anmerkt. "Nicht wegen, sondern trotz dieser schwarz-gelben Regierung" gehe es Deutschland in Zeiten der Euro-Krise weiter gut. Na dann. Merkel nimmt einen Schluck aus dem Glas Wasser, das vor ihr steht.

Steinbrück erhöht die Drehzahl: "Frau Bundeskanzlerin, wir haben in Schloss Bellevue bereits einen Präsidenten." Die kleine Anspielung auf Merkels präsidiale Art zu regieren sitzt. Und schließlich wirft der SPD-Konkurrent der Kanzlerin am Beispiel der Energiewende vor, dass "jede Frittenbude in Deutschland besser gemanagt" werde als eben dieses Großprojekt in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Steinbrück plädierte für Gründlichkeit vor Eile: Grünes Licht für den Bundeshaushalt erst, wenn "Klarheit in Europa herrscht".

Merkel, die Angegriffene, nimmt den Ball nicht auf. Sie liest sich eisern durch den vor ihr liegenden Redetext. Ihr Auftritt ist etwas blutleer. Womöglich hat Steinbrück sie für eine schärfere Replik nicht ausreichend gereizt. Merkel listet die Erfolge einer Regierung auf, die ihren Worten nach "die erfolgreichste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung" ist. Dann soll es die Welt da draußen auch wissen: tiefster Stand der Arbeitslosigkeit, Kommunen entlastet, Energiewende eingeleitet, Wehrpflicht ausgesetzt und Bundeswehr umgebaut, Erreichen der Schuldenbremse (als erklärtes Ziel) drei Jahre früher als geplant sowie in Forschung und Bildung investiert.

Opposition, noch Fragen? Am Ende ist Merkel ganz bei sich, sehr zufrieden. Und sie bedankt sich, nicht nur bei Schäuble. Auch der FDP sagt sie "einfach mal Danke" für das baldige Ende der Praxisgebühr. Für wen sie das alles tut? "Für heute, für morgen, für die Menschen im Lande." Später nimmt sie noch einen Schluck Wasser. Das Glas ist leer.

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