Ausbildungszentrum in Pfullendorf Gewaltskandal erschüttert Bundeswehr

Stuttgart · In einem Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Pfullendorf soll es zu unter Anderem zu Mobbing und Misshandlungen bei Aufnahmeritualen. Während über die Vorgänge gerätselt wird, stellen Oppositionspolitiker kritische Fragen.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte in ihrer bisherigen Amtszeit mehr Glück als ihre Vorgänger in den vergangenen 20 Jahren. Nicht nur, dass in ihre Zeit das Ende des seit fast zwei Jahrzehnten geltenden Spar- und Schrumpfdiktats für die Bundeswehr fällt. Sie hatte anders als Peter Struck Bundeswehr (SPD), Franz-Josef Jung (CDU), Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Thomas de Maizière (CDU) außerdem keine Toten und Gefallenen im Afghanistan-Einsatz zu verantworten und auch keine Skandale – bis jetzt.

Was aus der Staufer-Kaserne und dem Ausbildungszentrum für spezielle Operationen in Pfullendorf bekannt wird, hat mindestens soviel Sprengkraft für von der Leyen, wie es Ekelrituale auf dem Schulschiff Gorch Fock, Misshandlungsvorwürfe in Coesfeld oder Fotos von Bundeswehrsoldaten mit Totenschädeln in Afghanistan für ihre Vorgänger hatten. In Pfullendorf geht es um Mobbing, Erniedrigungen, sexuellen Missbrauch und abstoßende Gewaltrituale.

Teile der Ausbildung von Elitesanitätern, die verletzte Kameraden in Kampfsituationen versorgen müssen, waren „hinsichtlich des Gebotes zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls unangemessen“, heißt es in einer Mitteilung des Heeres. Darüber hinaus sei es zu Mobbing und Misshandlungen bei Aufnahmeritualen gekommen, an denen nach bisherigen Erkenntnissen keine Vorgesetzten beteiligt gewesen seien.

Was genau wann in der Kaserne geschehen ist, teilte das Verteidigungsministerium auf Anfrage nicht mit. Unklar blieb auch, wann die Untersuchung begann. Ein Sprecher betonte nur, dass die Bundeswehrführung und das Ministerium sofort Ermittlungen aufgenommen hätten, als man über einen substanziellen Vorwurf in Kenntnis gesetzt worden sei.

Diese erste Untersuchung ist laut Ministerium am vorigen Donnerstag abgeschlossen worden. In der Konsequenz seien die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, der Verteidigungsausschuss informiert und erste Konsequenzen gezogen worden: Für sieben Soldaten im Mannschaftsdienstgrad sei die Entlassung und ein sofortiges Verbot zum Tragen der Uniform verfügt worden. Bei sieben weiteren Soldaten hat das Ministerium die Versetzung in die Wege geleitet. Darüber, ob der bisherige Kommandeur des Ausbildungszentrums, Oberst Thomas Heinrich Schmidt, abgelöst wird oder bereits versetzt ist, wie Medien berichten, wurde nichts mitgeteilt.

An der Darstellung des Ministeriums äußerten allerdings nicht nur Abgeordnete der Opposition Zweifel. Laut dem Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels wandte sich ein weiblicher Leutnant im Oktober 2016 wegen fragwürdiger Vorgänge an ihn. Er habe damals das Ministerium informiert. In Bartels jüngstem Bericht wird der Fall Pfullendorf aber nicht ausdrücklich herausgestellt. Die Abgeordneten Rainer Arnold (SPD) und Agnieszka Brugger (Grüne) kritisierten scharf, dass der Verteidigungsausschuss des Bundestags erst unmittelbar vor den ersten Presseberichten über den Fall informiert wurde. „Wieder einmal wurde das Parlament nicht rechtzeitig informiert, obwohl die Fakten schon seit einiger Zeit bekannt waren“, sagte Arnold und forderte eine Sondersitzung des Ausschusses. „Da sollte sich die Koalition nicht von der Opposition jagen lassen.“

Auch Brugger forderte eine lückenlose Klärung der Fragen. „Es darf keine Verharmlosung angesichts derart schwerer Straftaten geben“, sagte sie dieser Zeitung. „Wenn jemand so handelt, hat er in der Bundeswehr nichts verloren. Für mich stellt sich die drängende Frage, wie diese Misshandlungen so lange unentdeckt bleiben konnten. Ich erwarte auch eine Antwort darauf, wie man in Zukunft die Umsetzung der Prinzipien der Inneren Führung stärken will.“

Von der Leyen hat die Vorgänge als „abstoßend“ und „widerwärtig“ eingestuft und Aufklärung „in aller Härte“ angekündigt. Die Spitze des Ministeriums ist mittlerweile im Krisenmodus. Heeres-Inspekteur Jörg Vollmer nannte die Ereignisse „nicht zu tolerieren“. Generalinspekteur Volker Wieker will in den nächsten Tagen nach Pfullendorf reisen, um sich direkt zu informieren. Für die Ministerin ist die Veröffentlichung gerade jetzt denkbar ungünstig. Sie veranstaltet an diesem Dienstag ihren vielkritisierten „Workshop zur sexuellen Identität und Vielfalt“, bei dem sie die Bundeswehr als modernen, der Inklusion von Minderheiten verpflichteten Arbeitgeber präsentieren und sich für sexuelle Vielfalt in der Truppe einsetzen wollte.

Nun werfen die Missbrauchsvorwürfe in Pfullendorf ein besonders schrilles Schlaglicht auf diese Themensetzung. Dies gilt, zumal von der Leyen den traditionellen Führungs- und Wertekodex der Bundeswehr – die Prinzipien der Inneren Führung und das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform – ausgesprochen stiefmütterlich behandelt hat. Selbst im Weißbuch von 2016, einem Grundlagendokument zur deutschen Sicherheitspolitik, wird die Innere Führung und der Staatsbürger in Uniform nur am Rande erwähnt.

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