Kolumne über das Leben mit Kindern und Musik Genieße die Stille

Eltern brauchen starke Nerven. Und manchmal helfen auch schwache Ohren. Zum Beispiel immer dann, wenn der Musikgeschmack der lieben Kleinen sich nicht mit dem eigenen deckt, also fast immer.

 Kinder und Musik - das ist nicht immer eine gute Idee, auch historisch gesehen. Im Bild: Der 10-jährige Aaron Carter bei einem Auftritt bei der Bravo-Supershow 1998.

Kinder und Musik - das ist nicht immer eine gute Idee, auch historisch gesehen. Im Bild: Der 10-jährige Aaron Carter bei einem Auftritt bei der Bravo-Supershow 1998.

Foto: picture-alliance / dpa

Die himmlische Ruhephase, in der die Benjamin-Blümchen-CDs („Töörööö!“) langsam eine Staubschicht entwickelten und noch kein adäquater Ersatz gefunden war, dauerte gefühlt nur wenige Tage. Es begann mit einem kleinen Liedchen des Grundschülers hinter seinem Comic-Heft auf dem Sofa: „Holz ist so vielseitig, Holzi, Holzi, Holz, la lala lala la ...“

Erstaunte Nachfragen wurden mit mitleidigem Blick quittiert: „Ich hol mein Holz! Das singt doch jetzt jeder.“ Schnell ein Blick in Google. Nicht, dass man sich hinterher als Mutter vorwerfen lassen muss, man habe sich nicht für die Lebenswirklichkeit seiner Kinder interessiert.

Das erschreckende Ergebnis: Offenbar erfreut „Ich und mein Holz“ auch zahlreiche Hörer jenseits des Grundschulalters. Das Warum bleibt so rätselhaft wie die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Holz ist offenbar nicht einmal ein raffinierter Tarnname für eine neue Designer-Droge. Es ist schlicht Unsinn.

Ein schwacher Trost: Beim Trällern mancher neuer „Kinderlieder“ setzen sich vielleicht ein paar Bruchstücke Englisch im Gedächtnis fest. Eine komplette Generation dürfte allerdings das Wort Pineapple künftig mit asiatischem Akzent verinnerlich haben („Peinäpö“), nachdem sie dem Nonsens-Sänger Piko-Taro mit seinem irrwitzigen Song „Pen Pineapple Apple Pen“ verfallen ist.

Wie aus dem skurrilen Auftritt eines japanischen Komikers im Leoparden-Outfit ein deutscher Schulhof-Hit und weltweiter Internet-Erfolg werden konnte, lässt selbst Marketing-Experten ratlos zurück. Sogar das „Handelsblatt“ widmete als Reaktion auf Piko-Taro eine (weitgehend ergebnislose) Analyse der „wirtschaftlichen Bedeutung flacher Unterhaltung“.

Deutsche Liedtexte machen das Mitsingen einfacher, aber nicht un-bedingt sinnhaltiger. Vielmehr: Sie werfen oft Fragen auf. Wie will etwa Rapper Sido „in Singapur ins kalte Wasser“ springen, wenn es in dem Tropenstaat am Äquator doch überhaupt kein kaltes Wasser gibt? Wie sollen Eltern eine pädagogisch-wertvolle ernste Miene bewahren, wenn ein Erstklässler frei nach Tim Bendzko inbrünstig am Frühstückstisch singt „Ich bin doch keine Maschiiiiiiiene, ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut“?

Besonders beliebt ist auf den Spielplätzen und Schulhöfen auch der Astronauten-Hit von Andreas Bourani. „Haben uns alle voll gefressen und vergessen zu zahlen. Lassen alles stehn und liegen für mehr Asche und Staub“, rappen die lieben Kleinen. Immerhin, nicht ganz so abwegig, werden sich manche Eltern denken, während sie ein weggeworfenes Bonbonpapier vom Teppich klauben. Wenigstens hat keiner Asche und Staub in die Wohnung geschleppt.

Alles nie gehört? Kein Problem. Der Kinder-Musikgeschmack ist vielfältig. Auch die von der kulturbeflissenen Großtante überreichte CD „Die Zauberflöte für Kinder“ ist noch regelmäßig als Begleitmusik zum Legobauen zugelassen. Dass die Arie der Königin der Nacht daraufhin gerne minutenlang aus voller Kehle im Badezimmer geschmettert wird, ist eine Phase, die Eltern wohl einfach durchstehen müssen. Immerhin ist das Abflauen dieser Vorliebe klar absehbar.

Kein Wunder, dass nach einer nicht repräsentativen Umfrage viele Eltern sämtliche Musik nach Schlafenszeit des Nachwuchses aus der Wohnung verbannen und die Stille genießen: „Enjoy the silence“, forderte vor vielen Jahren die heutige Oldie-Band Depeche Mode. Könnte man ja bei Gelegenheit mal den Kindern vorspielen.

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