Bundestag Gegen eine dunkle Macht

BERLIN · Der Bundestag debattiert über den Beschluss der Regierung, Waffen aus Bundeswehr-Beständen an die Peschmerga zu liefern.

Draußen ist der Protest. Drinnen läuft gleich die Debatte. Wenig ist einfach an diesem Tag im Bundestag. Nicht für die Regierenden, auch wenn diese schon entschieden haben. Und nicht für viele Abgeordnete von Koalition und Opposition, gerade weil die Regierenden in einem Ausnahmefall bereits entschieden haben. Der Bundestag als reines Vollzugsorgan in einer Angelegenheit von Tragweite? Debatte Ja, Entscheidung im Plenum Nein. Das ist nicht nach dem Geschmack der Volksvertreter, auch wenn der Bundestag dieses Mal keine Soldaten in ein Krisen- und Kriegsgebiet schickt.

Die kurdischen Peschmerga-Truppen in Nordirak werden für ihren Kampf gegen die pro-sunnitische Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) schon in den nächsten Tagen eine erste Lieferung von Militärgütern, Waffen und Munition aus Beständen der Bundeswehr bekommen. Von Deutschland aus wird der Nachschub zunächst in die irakische Hauptstadt Bagdad geflogen. Der offizielle Weg. Die irakische Regierung will eingebunden sein. Am Flughafen Bagdad wird die Lieferung inspiziert und dann weiter nach Erbil gebracht, die Hauptstadt der autonomen Kurdenregion im Irak. Danach geht es in den Kampf.

Über diese Lieferung, von einer Ministerrunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend beschlossen und verkündet, soll nun der Bundestag debattieren. Damit es irgendwie nach echter Beteiligung aussieht, wird das Haus noch über drei Entschließungsanträge von Koalition, Linken und Grünen abstimmen, die die Bundesregierung aber nicht binden. Die Koalition bringt ihren Antrag durch. Wen wundert's?

Die Linke hat an diesem Tag, dem Weltfriedenstag in Gedenken an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude ein Großplakat aufgebaut. Die beiden Parteichefs, Katja Kipping und Bernd Riexinger, werden es gleich enthüllen. Eine weiße Friedenstaube auf blauem Grund mit einem Satz von Willy Brandt, der den Kolleginnen und Kollegen im Plenum als Mahnung dienen soll: "Krieg ist nicht die ultima ratio, sondern die ultima irratio." Kipping sagt noch: "Ein dritter Irak-Krieg ist keine Lösung." Die Linke sei "eine Friedenspartei". Deutsche Waffen in ein Kriegsgebiet? Da werde die Linke Nein sagen. Ein Nein, das im Bundestag niemanden überrascht.

Die Bundeskanzlerin tritt ans Mikrofon. Sehr bald, nachdem die schwarz-rote Bundesregierung vor zwei Wochen öffentlich ihre Bereitschaft hatte erkennen lassen, die kurdischen Peschmerga mit Waffen und Gerät zu unterstützen, war klar: eine Regierungserklärung soll diesen Schritt transparent machen. Die Sache eilt. Eine Woche vor der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause rief der Bundestag die Abgeordneten für eine Sondersitzung nach Berlin.

Merkel spannt einen großen Bogen. Der Erfolg der europäischen Integration, der aus einstigen Gegnern und Feinden Freunde gemacht habe. Der Afghanistan-Einsatz der Nato und die bevorstehende Nachfolgemission. Die aktuelle Krise in der Ostukraine, die auch den Nato-Gipfel in dieser Woche in Wales beschäftigen wird. Und schließlich eben die schwere Entscheidung, "militärische Ausrüstung an eine Konfliktpartei" in Nordirak zu liefern. Ein "singulärer Fall", wie der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe später in der Debatte sagen wird. "Die Welt ist in Unruhe", sagt denn auch Henning Otte (CDU), verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.

Merkel spricht über den "grenzüberschreitenden Herrschaftsanspruch" des "Islamischen Staates" - mit einem Kalifat bis zum Mittelmeer, das Jerusalem einschließe. Die Milizen des IS "marodieren, plündern und morden". Eine dunkle Macht entwickele sich da. "Alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht, räumen sie grausam aus dem Weg", beschreibt Merkel abstrakt die Gräueltaten der fanatischen Religionskrieger.

Die Regierungschefin verweist darauf, dass inzwischen 400 Deutsche sowie "europäische Kämpfer" in vierstelliger Zahl für den IS in den Krieg gezogen seien und eventuell diesen Krieg zurück nach Europa brächten. Die Expansion des IS müsse aufgehalten werden. Merkel sagt: "Dort, wo Menschen in Not sind, werden wir helfen - auch durch zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen." Und im Falle der kurdischen Peschmerga eben auch durch Gerät, Waffen und Munition. "Diese Entscheidung ist weitreichend", betont die Kanzlerin. Doch was wäre die Alternative? "Kein Risiko einzugehen, nicht zu liefern und damit die Ausbreitung des Terrorismus hinzunehmen?" Eine rhetorische Frage. Deutschland wird liefern. "Das, was ist, wiegt in diesem Fall schwerer, als das, was sein könnte."

Linke-Fraktionschef Gregor Gysi darf kontern. Er ist der Oppositionsführer. Er findet es "mehr als stillos an einem solchen Tag" (Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren) über Waffenlieferungen zu debattieren. Gysi fordert, die Vereinten Nationen einzuschalten, die über Hilfe für Nordirak zu entscheiden hätten, und nicht die Regierung der USA oder "sonst eine einzelne Regierung". Gysi warnt vor den Folgen der Waffenlieferung. "Nicht selten" überließen die Peschmerga ihre Waffen kampflos dem "Islamischen Staat". Dann hätte Deutschland die Falschen bewaffnet. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warnt: "Diese Waffen könnten der Treibstoff für einen inner-irakischen Konflikt zwischen irakisch Kurdistan und der irakischen Zentralregierung sein."

Oben auf der Besuchertribüne verfolgen Vertreter von Jesiden und Aleviten die Debatte. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann rechtfertigt die Aufrüstung der Peschmerga als "Nothilfe zur Rettung von Menschenleben". Dann tritt Unionsfraktionschef Volker Kauder ans Rednerpult. Er war in Syrien und im Nordirak und hat mit der Schilderung seiner Eindrücke der Regierungsentscheidung einen Schub gegeben. Sein Appell: "Wir müssen das tun, was diese Terrorgruppe nicht weiter wachsen lässt." Pazifismus? Kauder zitiert Rupert Neudeck, den Vorsitzenden des Friedenskorps Grünhelme: "Ich möchte nicht, dass Menschen sterben für die Reinheit meines Pazifismus." Stille im Plenum. Es müsse eine Botschaft an den IS geben: "Wir lassen euch nicht gewähren."

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