Kommentar NPD-Klage - Freiheit von "Spinnern"

Berlin · Ob Frank Rennicke, Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen NPD, besser abgeschnitten hätte, wenn er sich den Delegierten der Bundesversammlung vor der Wahl hätte präsentieren können, ist höchst zweifelhaft. Gerade vier der 1123 Mitglieder der Bundesversammlung stimmten bei der Bundespräsidentenwahl 2009 für den Barden Rennicke im Kandidatengewand

Frank Rennicke, deutscher Liedermacher, durfte nicht sprechen. Nicht bei diesem Anlass und nicht vor diesem Publikum. Das Grundgesetz sah (und sieht) kein Rederecht für Kandidaten auf das Amt des Bundespräsidenten in der Bundesversammlung vor. Ob Rennicke, Präsidentschaftskandidat der rechtsextremen NPD, besser abgeschnitten hätte, wenn er sich den Delegierten der Bundesversammlung vor der Wahl hätte präsentieren können, ist höchst zweifelhaft.

Gerade vier der 1123 Mitglieder der Bundesversammlung stimmten bei der Bundespräsidentenwahl 2009 für den Barden Rennicke im Kandidatengewand. 2010 waren es im ersten und zweiten Wahlgang noch drei, ehe Rennicke im dritten Wahlgang seine Kandidatur zurückzog. Doch NPD-Chef Udo Pastörs war das nicht genug.

Er klagte vor dem Bundesverfassungsgericht auch auf die Möglichkeit der Vorstellung der Kandidaten und bekam nun höchstrichterlich attestiert: Das Grundgesetz sieht keine Vorstellung und auch keine Aussprache (Artikel 54) zur Wahl des Staatsoberhauptes vor.

"Spinner"? So hatte Joachim Gauck, seit März 2012 selbst Bundespräsident, im vergangenen Jahr ausländerfeindliche Protestler vor einem Asylbewerberwohnheim in Berlin-Hellersdorf bezeichnet, die auch die NPD von Pastörs und Rennicke unterstützt hatten. Nur: Wie weit darf sich der Bundespräsident in Tagespolitik einmischen und sind solche Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt, Vertreter oder Unterstützer einer (extremen) Partei als "Spinner" zu bezeichnen?

Gauck jedenfalls ist ein Bundespräsident, der sich die Freiheit nimmt, sich auch tagespolitisch in aller Deutlichkeit zu äußern, wie er bei seinem Staatsbesuch in der Türkei mit seiner Kritik an der rigiden Kontrollpolitik (auch gegen die Freiheit des Internets) des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gezeigt hat.

Die NPD sieht sich durch Gaucks Geringschätzung verletzt. Pastörs will mit seinen Klagen auch jenes Scheinwerferlicht auf die finanziell klamme NPD lenken, das ihr bei der Wahl des Staatsoberhauptes gefehlt hat und weiter fehlen wird. Die Bundesversammlung ist eine große Bühne, die die NPD mit ihrer Präsenz in den Landtagen von Sachsen (5,6 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (6,0 Prozent) gern nutzen würde.

Die Partei reklamiert für sich die Debatte als Verweis auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit und Mitsprache, die die NPD sonst so gar nicht für alle Bevölkerungsgruppen des Landes gelten lassen will.

Die obersten deutschen Richter haben Pastörs und Co. jetzt bescheinigt, dass sie die bundespräsidiale Qualifikation als "Spinner" ertragen müssen. Auch als Staatsoberhaupt muss sich Gauck mit Aussagen über politische Parteien nicht zwangsläufig neutral verhalten. Das ist gut so. Grundsätzlich und erst recht in diesem Fall.

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