Frankreich Frankreichs weibliches Terror-Kommando

Paris · Erstmals war es eine Frauen-Gruppe, die blutige Anschläge in Paris plante – und das nicht weniger radikal als Männer. Frauen als Täter einzusetzen, gehört zur IS-Strategie.

 Nahe der Kathedrale Notre Dame in Paris sollte der Anschlag, den die Frauen vorbereitet hatten, verübt werden.

Nahe der Kathedrale Notre Dame in Paris sollte der Anschlag, den die Frauen vorbereitet hatten, verübt werden.

Foto: AFP

Ein nettes Mädchen war sie, etwas schüchtern und burschikos. Als Teenager kleidete sich Inès M., die dritte von fünf Töchtern eines Busfahrers und einer Krankenpflegerin, wie jede andere junge Französin, bis sie sich vor zwei oder drei Jahren plötzlich verschleierte. Und zuletzt kaum mehr aus dem Haus ging.

So beschreibt eine Nachbarin in der ruhigen Wohnhaussiedlung in Tremblay-en-France, 30 Kilometer nördlich von Paris, die junge Frau, die in der vergangenen Woche ein Blutbad anrichten wollte. Nach einem gescheiterten Autobombenanschlag bei der Kathedrale Notre Dame wurde die 19-jährige Inès M. am Donnerstagabend mit zwei Komplizinnen in einem Vorort von Paris festgenommen. Staatsanwalt François Molins zufolge standen sie unmittelbar vor einem erneuten Attentatsversuch auf einen Pariser Bahnhof. Inès M. wurde angeschossen, nachdem sie und die 23-jährige Sarah H. sich mit Messern bewaffnet auf die Polizisten stürzten und dabei einen Beamten verletzten. Molins sprach von einem „extrem entschlossenen“ Frauen-Kommando.

In einem Brief, den Inès M. bei sich trug, schwor sie der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Treue und drohte ihren „Feinden“: „Ich greife euch auf eurem Boden an, um euch zu terrorisieren.“

Für Frankreich werden islamistische Anschläge zu einer bitteren Gewohnheit – doch erstmals handelte es sich um Täterinnen. Um junge Frauen, teilweise Mütter, die nicht weniger extrem denken und handeln als Männer. 275 der 689 Franzosen, die sich laut Innenministerium im syrisch-irakischen Grenzgebiet aufhalten, sind weiblich. Derzeit laufen 59 Ermittlungsverfahren gegen Frauen wegen Terrorverdacht.

„Man geht immer von dem Prinzip aus, dass die Frau ein Opfer ist und unfähig, Gewaltakte auszuführen“, sagt die auf Dschihadistinnen spezialisierte Soziologin Carole André-Dessornes. Dabei sei deren Engagement für den IS keinesfalls neu und sogar Teil einer Strategie – denn die Taten von Terroristinnen schockierten besonders und erzeugten höhere Medienaufmerksamkeit.

Die Ausreisepläne von Inès M. gen Syrien waren den Behörden ebenso bekannt wie ihre Verbindungen zu belgischen Dschihadisten. Nachdem sie die Schule ohne Abschluss verlassen hatte, verbrachte sie ihre Tage zu Hause vor dem Computer. Auf der Festplatte fanden die Ermittler brutales Propaganda-Material des IS. Ihr Vater, der selbst im Jahr 2008 wegen Radikalisierung aufgefallen war, hatte der Polizei ihr Verschwinden gemeldet – und das seines Autos.

Gemeinsam mit der 29-jährigen Ornella G. hatte Inès M. es in der Nacht zum Sonntag vor einer Woche unweit der Kathedrale Notre Dame geparkt. Im Kofferraum befanden sich fünf gefüllte Gasflaschen, drei Dieselkanister, eine mit Benzin getränkte Decke und eine angebrannte Zigarette, aber kein Zünder. Eine Explosion blieb aus.

Weil die Warnblinkanlage lief, wurde das Auto bald ausfindig gemacht. Schnell führte die Spur zu Inès M. und zu Ornella G., die ihre Fingerabdrücke hinterlassen hatte und deren Radikalisierung bekannt war. Während sie und ihr Mann, mit dem sie drei Kinder hat, noch am Dienstag in Haft kamen, blieb Inès M. unter Beobachtung. Sie traf mit Sarah H. zusammen – einer 23-Jährigen aus Südfrankreich, eine frühere Katholikin, die Ende 2014 konvertierte und im März 2015 in der Türkei aufgegriffen wurde. Mehreren Dschihadisten soll sie via Internet die Ehe versprochen haben: Nach Larossi Abballa, der am 13. Juni ein Polizistenpaar in einem Pariser Vorort erstochen hat, wollte sie Adel Kermiche heiraten, einen der beiden Mörder eines katholischen Priesters in einer Kirche bei Rouen.

Festgenommen wurden sie und Inès M. vor dem Wohnhaus der 39-jährigen Amel S. im südlichen Pariser Vorort Boussy-Saint-Antoine; auch deren 15-jährige Tochter kam in Untersuchungshaft. Die vierfache Mutter Amel S., die den Behörden nicht bekannt war, soll sich ebenfalls über das Internet radikalisiert haben.

In dem verstörenden virtuellen Netzwerk stießen die Ermittler auch auf Verbindungen zu Hayat Boumeddiene, der Freundin von Amédy Coulibaly, der im Januar 2015 eine Polizistin und vier Menschen in einem jüdischen Supermarkt erschossen hatte. Boumeddiene war noch vor seiner Tat nach Syrien ausgereist. „Seid für eure Ehemänner, Brüder, Väter, Söhne, sichere Stützen und gute Ratgeberinnen“, schrieb Boumeddiene in den einschlägigen Netzwerken. Und erreichte mit ihrer radikalen Botschaft Frauen, die nicht nur Männer stützen, sondern selbst morden wollen.

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