Mit der "Bonn" in der Ägäis Flaute für Schleuser

Das Geschäft mit der Not hat sich in der östlichen Ägäis verändert. Vor zwei Tagen war es gerade noch ein Flüchtling. An manchen Stellen schaffen es nur noch Syrer oder Iraker mit viel Geld nach Europa.

 An Deck des Einsatzgruppenversorgers „Bonn“: Das Operationsgebiet ist etwa so groß wie die Fläche der Hansestadt Bremen.

An Deck des Einsatzgruppenversorgers „Bonn“: Das Operationsgebiet ist etwa so groß wie die Fläche der Hansestadt Bremen.

Foto: Holger Möhle

Vor zwei Tagen war es gerade noch ein Flüchtling. Die Schiffspassage ist schmal geworden, vor allem aber exklusiv – zumindest an Bord eines Schleuserbootes. Das Geschäft mit der Not hat sich hier in der östlichen Ägäis verändert. An manchen Stellen schaffen es nur noch Syrer oder Iraker nach Europa, die so viel Geld auf den Tisch legen, dass sie eine Yacht oder auch mal ein Segeltörn vom türkischen Festland auf eine der griechischen Inseln Lesbos, Chios, Samos, Leros oder Kos bringt. Flucht deluxe, sofern es so etwas überhaupt geben kann. Jedenfalls zu den Bedingungen eines Fünf-Sterne-Preises ist die Überfahrt noch zu haben.

Seit die Nato im Februar beschlossen hat, dass sie die östliche Ägäis, das Seegebiet zwischen den Nato-Partnern Türkei und Griechenland, nicht länger skrupellosen Schleusern für deren hoch profitables Geschäft mit der Not überlassen will, führt der deutsche Flotillenadmiral Jörg Klein als Kommandant eines ständigen Marineverbandes die Unterstützungsmission der Allianz in der Ägäis.

Sieben Schiffe und Boote mit insgesamt 1000 Mann Besatzung sollen dabei ein Seegebiet so groß wie etwa zwei Drittel von Deutschland überwachen. Der eigentliche Operationsraum, dort also, wo sich die Türkei und Griechenland geografisch besonders nahe sind, ist etwa so groß wie das Gebiet der Hansestadt Bremen.

Es hat gedauert und die Vermittlung der Nato gebraucht, bis Türken und Griechen bereit waren, gemeinsam mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex den Schleppern in der Ägäis das Handwerk zu legen. Noch im vergangenen Jahr hatten rund 853 000 Menschen die Ägäis auf ihrer Flucht in ein besseres Leben überquert. Ein äußerst einträgliches Geschäft. Ähnlich wie bei der lebensgefährlichen Überfahrt von Libyen über das Mittelmeer nach Italien kassieren die Schleuser in der Ägäis zwischen 1000 und 3000 Dollar pro Person und Passage, so die Erfahrung im deutschen Einsatzführungskommando in Potsdam, das die 15 deutschen Auslandseinsätze der Bundeswehr koordiniert.

Genauer gesagt sind es „15 plus 1“, wie ein Offizier erläutert. Mit „plus eins“ ist die besagte Nato-Unterstützung in der Ägäis gemeint. „Plus eins“ deswegen, weil die Mission im Vergleich zu den 15 anderen Auslandseinsätzen ohne Bundestagsmandat auskommt. Der ständige Marineverband 2, derzeit angeführt vom deutschen Einsatzgruppenversorger „Bonn“, dem größten Schiff der Marine, hat „keine exekutiven Befugnisse“.

Der Nato-Verband darf keine Schiffe oder Boote, die der Schleusung verdächtig wären, ansprechen, anhalten oder sie gar borden. Die Nato meldet den Verdacht – je nach Position des verdächtigen Bootes – der türkischen oder der griechischen Küstenwache. Bei der Operation mit dabei: Ludwig van Beethoven als überdimensionierter Matrose, Gestiftet vom Bonner Freundeskreis, der als Maskottchen auf einer Reling der „Bonn“ allzeit gute Fahrt bringen soll.

Die Nato ist als neutrale Plattform zwischengeschaltet worden, damit Türken und Griechen im Kampf gegen Schlepper überhaupt kooperieren. Als die Operation in der Ägäis starten sollte, wäre es schon viel gewesen, wenn die beiden Nato-Partner nur miteinander geredet hätten, statt in alter Rivalität eifersüchtig auf die jeweiligen nationalen Gewässergrenzen zu starren. Doch mittlerweile, so erzählt es Admiral Klein, habe man es auf das Niveau eines „ganz hervorragenden Informationsaustausches“ geschafft.

Klein klingt bei seinem Loblied auf die Nato-Operation in der Ägäis ein wenig wie der Pep Guardiola der deutschen Marine, weil er den Informationsfluss zwischen Türken und Griechen derart preist, als lobte Guardiola einen seiner „Toptoptop-Spieler“.

Nur was der hervorragende Informationsaustausch bislang konkret gebracht hat, lässt Klein erstaunlich offen. Wie viele Schleuser hat der von der „Bonn“ angeführte Marineverband in den knapp drei Monaten seit Einsatzstart also gemeldet? „Eine ganze Anzahl“, sagt der Kommandant reichlich ungenau. „Die Zahl der Schleusungen ist deutlich zurückgegangen“, so Klein und verweist auf „politische Entscheidungen“ (EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen), „strategische Maßnahmen“ (Schließung der Balkan-Route), aber eben auch auf die Nato-Mission in der Ägäis, die zu diesem Rückgang geführt habe.

Ein Korvettenkapitän an Bord der „Bonn“ erzählt: „Die Mission zeigt Wirkung. Die Schlepper verlagern.“ Und auch ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums schafft es nicht, konkrete Zahlen zu nennen. Nur so viel: Die „Migrationsbewegungen“ vor den griechischen Inseln hätten „signifikant abgenommen“.

Dafür erzählt ein Marineoffizier, dass inzwischen gerade noch „20, 30, 40 Menschen“ am Tag an Bord eines Schlepperbootes eine der griechischen Inseln erreichten. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigt: Im Durchschnitt der vergangenen zehn Tage habe es etwa „30 Anlandungen pro Tag“ gegeben. Mit Anlandungen seien Menschen gemeint, erklärt er auf Nachfrage.

Zwei bis drei der Schleusung verdächtige Boote am Tag melde der Nato-Verband gerade noch der türkischen oder griechischen Küstenwache, heißt es auf der „Bonn“. Noch vor einem Jahr seien es jeden Tag hier in der östlichen Ägäis „Hunderte“ gewesen. Aber jetzt, da die Nato wacht und meldet, haben Schleuser Flaute. Dafür treibt das Geschäft mit besonders zahlungskräftigen Flüchtlingen an Bord einer Yacht einzelne bizarre Blüten.

Vor der libyschen Küste läuft das gnadenlose Geschäft mit der Schleusung anders: auf Unterdeck die Schwarzafrikaner, ganz oben die besser betuchten Araber. Hier ist, so bitter es klingen mag, die EU-geführte Mission „Sophia“ unfreiwillig Teil der Kalkulation. In der einfachen Version bringt das ungefähr 120.000 Dollar pro Überfahrt, abzüglich Schmiergeld für Straßenposten, Milizen und Regierungen, wie ein Marineoffizier erzählt. „Da verdienen alle mit.“

Inzwischen würden „Seelenverkäufer“ ohne Telefon, Wasser und Treibstoff auf die Überfahrt gesetzt. Dafür werde die Schleusung in Europa angemeldet. Ein deutscher Offizier erzählt: „Bevor die losfahren, rufen die Schleuser in Rom an: Wir schicken das Boot jetzt los.“ In Rom hat die italienische Seenotrettung ihr Quartier, die dann wiederum einen Notruf sendet.

Schiffe der EU-Operation „Sophia“, benannt nach jenem somalischen Baby, das im vergangenen Jahr an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ zur Welt kam, sind bald zur Stelle. Warum? „Vor der libyschen Küste gibt es keine funktionierende Küstenwache“, erklärt Generalmajor Thorsten Poschwatta, stellvertretender Befehlshaber des Einsatzführungskommandos.

Und der Schleuser an Bord des klapprigen Bootes? „In vielen Fällen wird man feststellen, dass es ein Flüchtling war, dem man für eine billigere Passage gesagt hat: ‚Hier, fahr‘ mal geradeaus'“, erzählt ein Offizier an Bord der „Bonn“.

In der Ägäis geht derweil die Mission weiter, auch wenn die gemeldeten „Kontakte“ an manchen Tagen mittlerweile bei Null sind. Admiral Klein ist wieder bei seinem Auftrag: ein möglichst lückenloses Lagebild. Und bitte, der Türke und der Grieche sprechen miteinander. An Bord der „Bonn“ teilen sich die beiden Verbindungsoffiziere der Türkei und Griechenland sogar ein Büro. Wie gesagt: „Hervorragender Informationsaustausch.“

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