Weißrussland Europas letzte Diktatur gibt sich geschäftstüchtig

MOSKAU · Weißrusslands Wirtschaft, die letzte Planwirtschaft Europas, verdient ganz legal am Krieg in der Ukraine. Lukaschenko, seit Jahrzehnten als "letzter Diktator Europas" betitelt, gilt als Hauptgewinner des Krisengipfels in Minsk.

Schon jetzt strömten verbotene europäische Waren nach Russland, klagte Wladimir Putin am Dienstag beim Minsker Handelsgipfel zwischen der Zollunion Russland-Kasachstan-Weißrussland, der Ukraine und der EU. "Da liest man auf der Verpackung: Weißrussland. Aber wenn Sie den Kleber abreißen, steht da: Polen!" Natürlich, Putin wisse, dass die weißrussische Führung alles tue, um solch illegale Praktiken zu verhindern ... .

Alexander Lukaschenko, der Präsident Weißrusslands, saß mit arglosem Gesicht daneben. Dabei floriert nach Angaben der russischen Landwirtschaftsaufsichtsbehörde Rosselchosnadsor seit Wochen der weißrussische Re-Export von Obst- und Gemüse aus EU-Ländern, gegen die Russland ein Einfuhrstopp verhängt hat - mit gefälschten Etiketten. Und Experten vermuten, dass die ansonsten für ihre Strenge berüchtigten weißrussischen Behörden zumindest ein Auge zudrücken. "Auf jeden Fall scheinen sie ihre Kontrollen zu lockern", sagt der Minsker Wirtschaftswissenschaftler Leonid Slotnikow.

Aber Weißrusslands Wirtschaft, die letzte Planwirtschaft Europas, verdient ganz legal am Krieg in der Ukraine. Lukaschenko, seit Jahrzehnten als "letzter Diktator Europas" betitelt, gilt als Hauptgewinner des Krisengipfels in Minsk. Der blieb im wesentlichen ohne Ergebnis, wenn man davon absieht, dass wieder einmal ein Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe vereinbart wurde. Die Runde besteht aus Vertretern Russlands, der Ukraine, der Aufständischen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Während Putin und sein ukrainischer Kontrahent Pjotr Poroschenko in Minsk aneinander vorbeiredeten, präsentierte sich der gelernte Politoffizier vorgestern als ehrlicher Makler. "Das Schrecklichste ist, dass alle Probleme durch Zielfernrohre betrachtet werden", philosophierte er. "Eine Eskalation kann alptraumhafte Folgen für den Kontinent haben."

Es sei Lukaschenko gelungen, eine neutrale Idealposition zwischen allen Beteiligten des Konfliktes einzunehmen, sagt der russische Politologe Fjodor Lukjanow - "ein gewaltiger Erfolg."

Lukaschenko tanzt seit Monaten auf zwei Hochzeiten. Einerseits erfreute er den russischen Hauptverbündeten zu Beginn der Krise mit der Bitte, Kampfflugzeuge in Weißrussland zu stationieren. Andererseits erkannte er den Anschluss der Krim nie an, reiste demonstrativ zu Poroschenkos Amtseinführung nach Kiew.

Und er macht mit allen Konfliktparteien Geschäfte. Weißrussische Lebensmittelfabriken "veredeln" legal europäische Landwirtschaftsprodukte, etwa Fleisch, um es als Konserven oder Wurst weiter nach Russland zu verkaufen. Laut Slotnikow kann das Land so bis Ende des Jahres 200 Millionen Euro verdienen, andere Experten hoffen gar auf eine halbe Milliarde. Gleichzeitig "veredeln" weißrussische Raffinerien russisches Erdöl zu Treibstoff, der 70 Prozent der weißrussischen Exporte in die Ukraine ausmacht. Weißrussland als Transitwirtschaft, Lukaschenko als Kommunikator, auch der Westen findet sich damit ab. Eigentlich ist der Präsident wegen seines gnadenlosen Umgangs mit der Opposition in den USA und Europa persona non grata, am Mittwoch aber schüttelten ihm gleich drei EU-Kommissare die Hand. "Lukaschenkos Sternstunde", schreibt die Internetzeitung Gazeta.ru. Der "letzte Diktator" hat wohl beste Aussichten, sich kommendes Jahr das fünfte Mal hintereinander zum Präsidenten wählen zu lassen.

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